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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Torday
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Vögel lotsen uns über einen unebenen Pfad bis zu einem Waldrand. Die windschiefen Bäume beugen sich weit über den Weg. Über unseren Köpfen greifen die knorrigen Äste ineinander und die verschlungenen Zweige winden sich zu einem Blätterdach. Der Pfad führt vom Tageslicht in die Düsternis des Waldes, wo ihn schon nach wenigen Metern fast nachtschwarze Finsternis verschlingt.
    Der Hirsch bleibt abrupt stehen und wittert an den dornigen Kletten, die sich um den Eingang zum Wald ranken.
    * Gibt es keinen anderen Weg, Vögel? *, ruft er. * Mir gefällt der Geruch hier nicht . *
    Kleiner Wolf bleibt ebenfalls stehen und beäugt misstrauisch den dunklen Pfad. Polly krallt ihre Finger um meinen Arm. Nur die Tauben zögern keine Sekunde – sie tauchen unter dem dornigen Torbogen hindurch und verschwinden im Wald.
    * Kommt herein, folgt uns – das ist der beste Weg. Hier wird uns niemand entdecken. In diesem verborgenen Versteck können wir unseren Weg sicher fortsetzen . *
    * Genau. In diesem Versteck wird niemand einen Weg entdecken *, kommt es von der Weißen Taube.
    Diesmal ist Weiße Taube die Einzige, die sich einigermaßen vernünftig anhört. Aber wir haben keine Wahl, ohne die Tauben kommen wir nicht weit.
    Der General schwingt sich auf meinen Kopf und stellt die Fühler auf. * Seid furchtlos und tapfer. Ich werde nicht von eurer Seite weichen und alle Gefahren abwehren, die in der Finsternis auf uns lauern .*
    Na, dann ist es ja entschieden.
    * Hirsch, ich denke, wir sollten den Vögeln folgen. Immerhin haben sie uns sicher bis hierher geführt .*
    * Wie du meinst *, sagt er kurz angebunden und trabt ohne jede Vorwarnung los. Polly und ich können uns gerade noch unter den Bogenranken wegducken, während der General von einem stachligen Zweig von meinem Kopf gefegt wird.
    * Ich bleibe immer an eurer Seite – oder zu euren Füßen. Ganz wie ihr wollt .*
    Je tiefer wir in den Wald eintauchen, desto spärlicher dringen die Lichtstrahlen durch das dichte Dach aus Blättern und verschlungenen Zweigen. Nur gelegentlich schwimmen blasse Lichtflecken über den Waldboden.
    Aber es ist nicht die Dunkelheit, die dem Wald seine gespenstische Atmosphäre verleiht.
    Es ist die Stille.
    Durch die Wand aus Bäumen dringt kein Laut, der Wald ist totenstill. Ohrenbetäubend knacken die Äste unter unseren Schritten, jeder Atemzug, jedes noch so vorsichtige Schnüffeln hallt von den Bäumen zurück. Ich höre, wie die Maus in meiner Tasche nervös mit den Schnurrhaaren zuckt. Keiner von uns sagt ein Wort, vorsichtig setzt der Hirsch einen Fuß vor den anderen, seine Schritte knirschen auf dem moosigen Waldteppich.
    Die tief hängenden Äste greifen nach dem Boden und breiten sich wie eine knotige Girlande über den Waldweg, sodass Polly und mir nichts anderes übrig bleibt, als abzusteigen und zu Fuß weiterzugehen. Ich spüre förmlich, wie Polly hinter mir fröstelt, während wir durch das dämmrige Dickicht gehen. Plötzlich schnappt sie erschrocken nach Luft und verliert beinahe das Gleichgewicht.
    Sie ist über irgendetwas gestolpert.
    Sie hebt einen langen, seltsam geformten Stock auf.
    »Was ist das, Kester?«, fragt sie.
    Ich betrachte den Ast, den sie in den Händen dreht – er ist lang, krumm und gelblich weiß.
    Es ist kein Ast, sondern ein Knochen.
    Ich gestikuliere wild in Pollys Richtung, damit sie den Knochen fallen lässt. Aber zu spät – der Hirsch hat ihn längst entdeckt. Seine dunklen Augen glitzern und er wittert misstrauisch in der Luft. Kleiner Wolf kommt aus der Dunkelheit gerannt, zwischen seinen Zähnen klemmt ein etwas kleinerer weißer Stock.
    * Sieh mal, was ich gefunden habe, Große Wildnis *, sagt er stolz. Vorsichtig nehme ich ihm den Knochen ab und lasse ihn sofort los. Klappernd fällt er auf die Erde.
    Seit wann klappert es, wenn ein Knochen auf weichem Waldboden landet?
    Ich gehe einen Schritt zurück und wirble mit den Füßen das trockene Laub auf. Unter einer dünnen Blätterschicht kommen weitere bleiche Stöcke zum Vorschein, sie rollen zur Seite und schimmern weiß im fahlen Licht.
    Der Boden im Stillen Wald ist von Knochen überdeckt.

Kapitel 34
    * Ich wusste es. Wir hätten nicht hierherkommen dürfen *, sagt der Hirsch und durchbohrt die Tauben mit Blicken. * Wenn Tiere spüren, dass sie nicht mehr lange zu leben haben, ziehen sie sich hierher zurück, um in Frieden zu sterben .* Unwillkürlich muss ich an Sidney denken und daran, was sie über ihre letzte Reise gesagt hat. *

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