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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Torday
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Ton treffe, singe ich ihr Lied und rufe die Namen der verlorenen Vögel – in der Hoffnung, dass die Tiere, die vielleicht noch am Leben sind, mich hören und sich unserem Letzten Wild anschließen.
    Meine Stimme droht zu kippen, aber ich singe weiter. Wenn mir die richtigen Worte fehlen, summe ich stattdessen die Melodie. Und dann …
    Ein Rascheln im Dickicht, erst nur auf der rechten Seite, dann auch links.
    Mit bebender Stimme singe ich weiter. Links von mir höre ich es erneut rascheln, diesmal ist es näher. Ein Zittern geht durch die Büsche rechts von mir. Dann höre ich ein Säuseln hinter mir. Und vor mir.
    Etwas verbirgt sich in den Schatten des Waldes.
    * Wer immer du bist, zeige dich. Wir haben keine Angst vor dir *, rufe ich.
    Keine Antwort.
    Ich zögere, doch dann singe ich weiter. Im selben Moment fängt auch das Rascheln wieder an. Rasche Atemgeräusche zu beiden Seiten des Trampelpfads. Es kommt näher und wird schneller.
    * Ich bin Kester Jaynes und ich bin mit meinem Letzten Wild hier *, sage ich zu dem Rascheln in der Dunkelheit. * Wir sind auf dem Weg in die Stadt, um dort nach einem Heilmittel gegen das Virus zu suchen. Wenn ihr etwas zu sagen habt, dann zeigt euch jetzt .*
    Und dann höre ich sie. Eine Stimme aus dem Gebüsch.
    Eine harte, kalte Stimme, die mir unter die Haut geht und mich bis ins Mark erstarren lässt.
    * Ich weiß, wer du bist, Kester Jaynes .*
    * Wer bist du? *
    Die Stimme lacht trocken auf.
    * Das geht dich nichts an. Aber lass dir eines gesagt sein – du bildest dir ein, Anführer der Tiere zu sein. Du behauptest, in ihrem Namen zu sprechen .*
    * Die Tiere haben mich zur Großen Wildnis ernannt … *
    Plötzlich ist die Stimme auf der anderen Seite des Wegs – wie ist sie dorthin gekommen?
    * Schweig! Du bist ein Mensch. Du wirst nie für uns sprechen können *, faucht und zischt es hasserfüllt. * Glaubst du wirklich, dass alle Wesen auf deine Stimme hören? Dass alle Tiere dir ergeben sind und dich für deine Taten feiern? * Ein kaltes Lachen hallt zwischen den Bäumen. * Wenn du das glaubst, dann irrst du dich gewaltig .*
    Ich drehe mich einmal um mich selbst und versuche die Finsternis zu durchdringen.
    * Warum zeigt ihr euch nicht? *
    * Das werden wir, Kester Jaynes, wenn unsere Zeit gekommen ist – darauf kannst du dich verlassen .* Die Stimme wird leiser, bis sie nur noch ein flüsternder Windhauch in den Bäumen ist. * Wir werden kommen, wenn du es am wenigsten erwartest. Wir werden am helllichten Tag erscheinen. Wir haben dich gewarnt .*
    Das Rascheln wird lauter, das Zischen schwillt an. Ich weiche zurück und dann – Stille.
    * Hallo? *
    Nichts rührt sich. Schweigen senkt sich über den Wald.
    Plötzlich bricht etwas aus dem Unterholz und springt auf den Waldpfad. Es ist ein Geist.
    Der Geist eines Kaninchens, das durch den Farn auf mich zuhoppelt.
    Ich bin auf einem Friedhof – und das hier ist ein Geist. Aber würden Geister so nahe kommen, dass man ihr Fell fühlen kann, ihre Schnurrhaare spürt und das Herz hämmern hört? So nahe, dass man das rote Flackern in ihren Augen sieht? Das Kaninchen ist nur noch Haut und Knochen – aber es lebt.
    * Warst du das, Kaninchen? *, fahre ich es an. * Hast du gerade so mit mir gesprochen? *
    Das Kaninchen blickt mich verschreckt an.
    * Nein, ich habe keinen Ton gesagt .* Seine Stimme ist sanft und alt, ganz anders als die Stimme aus der Dunkelheit. * Ich bin hierhergekommen, um meine letzte Reise anzutreten. Ich hatte schon mit dem Leben abgeschlossen. Aber dann habe ich deinen Ruf gehört .* Seine Schnurrbarthaare zucken. * Und wenn wir schon dabei sind – eigentlich bin ich ein Hase. Ein Feldhase .*
    * Tut mir leid – ich dachte nur, du wärst etwas anderes. Jemand anderes .* Verwirrt kratze ich mich am Kopf. * Aber ein Vogel bist du auch nicht .*
    * Ein Ruf der Trauer ist ein Ruf der Trauer *, sagt er mit einem Schulterzucken.
    Er hat also tatsächlich geklappt. Der Ruf der Trauer.
    Ich versuche, alle Gedanken an die seltsame Stimme aus meinem Kopf zu verbannen, und fange wieder an zu singen. Der Hase fällt mit heiserer, dünner Stimme ein und fügt weitere Namen an. Zuerst höre ich nur zu und versuche, mir einen Reim auf die seltsamen Begriffe zu machen, dann übernehme ich die neuen Tiernamen und bald singen wir im Chor.
    Igel, Haselmaus und rotes Eichhörnchen.
    Wiesel, Baummarder und Otter.
    Zwergfledermaus, Langohr- und Breitflügelfledermaus.
    Unsere Stimmen schwellen an und werden wieder leiser,

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