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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Torday
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Das hier muss der Ort sein, wo die vielen Tiere, die wir verloren haben, ihre letzten Stunden verbrachten .*
    Jetzt wird mir auch klar, warum wir nirgendwo die Überreste all derer gesehen haben, die durch die Rote Pest den Tod gefunden haben. Sie sind in diesen Wald gekommen, um zu sterben.
    Wir befinden uns auf einem riesigen Tierfriedhof.
    Mein Blick schweift über die Baumstämme, die in der Düsternis nur schwer auseinanderzuhalten sind. Wie viele Tiere wohl unter diesen Bäumen begraben liegen? Bei dem Gedanken überläuft mich ein Schauder.
    Ich dränge den Hirsch zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind.
    * Dann führen uns die Tauben eben wieder aus dem Wald heraus und zeigen uns einen anderen Weg .*
    Aber die Tauben bleiben reglos auf den Ästen über unseren Köpfen sitzen. Stumm sträuben sie ihre Federn und weichen meinem Blick aus.
    * Dafür sind wir nun schon zu lange unterwegs – dieser Wald erstreckt sich in alle Himmelsrichtungen, so weit unsere Augen reichen .*
    Selbst Weiße Taube hat nichts hinzuzufügen. Kleiner Wolf lässt den Kopf hängen und starrt auf seine Pfoten.
    * Wir werden doch jetzt nicht aufgeben *, sage ich zum Hirsch und lege meine Hand auf seinen Rücken. Aber er rührt sich nicht vom Fleck, gibt keine Antwort, sieht mich nicht an. Sein Blick geht ins Leere.
    * Kein Tier, das atmet und lebt, würde je freiwillig einen Wald der Toten betreten .*
    Die Maus tanzt einen sehr kurzen und ziemlich steifen Wir-achten-die-Toten-Tanz und schüttelt den Kopf. * Ja, also, ich würde ja schrecklich gern mitkommen, aber da gibt es diesen neuen Tanz, den ich noch lernen will und … * Ihre Stimme verliert sich in der Stille des Waldes. Ich vermute, das war der Ich-ziehe-mal-lieber-den-Schwanz-ein-Tanz.
    Polly berührt mich an der Schulter.
    »Was ist los, Kester?« Sie nimmt den Knochen wieder in die Hand, betrachtet ihn von allen Seiten, zupft etwas Moos und trockenes Laub weg – und dann begreift sie plötzlich. »Du meinst, sie kommen nicht mit, weil sie Angst haben?«
    Ich nicke. Jetzt weiß ich auch, was ich zu tun habe.
    Dann dränge ich mich an den anderen vorbei und laufe los – den Pfad entlang in den Wald hinein. Ich höre sie nach mir rufen, aber ich drehe mich nicht um.
    Ich habe diesen Tieren mein Wort gegeben, ich bin ihr Anführer.
    Ich muss ihnen zeigen, dass es hier nichts gibt, wovor sie sich fürchten müssten.
    Also muss ich in den Wald. Alleine.
    Ich bin noch nicht sehr weit von meinem Letzten Wild entfernt, als mich plötzlich eine eisige Kälte umgibt. Ich reibe meine Arme, um warm zu bleiben, und stapfe weiter über den verwachsenen Pfad, der sich zwischen den Bäumen hindurchschlängelt. Kein Windhauch ist zu spüren, kein Laut zu hören – nur mein eigener, etwas zu schneller Atem. Um mich herum ist Finsternis, nur gelegentlich lässt ein Lichtschimmer die Blätter der Bäume am Wegesrand glitzern.
    Nicht mehr lange, und die Rote Pest wird weitere Leben fordern und noch mehr Tiere im Ring des Waldes auf die letzte Reise schicken – davon bin ich überzeugt. Ich kann nur hoffen, dass mein Plan aufgeht. Also lausche ich und warte. Ich warte auf das kleinste Geräusch, einen Ruf oder ein schwaches Rascheln im Laub – doch der Wald schweigt.
    * Falls irgendwo hier draußen noch jemand am Leben ist *, sage ich in die Totenstille, * dann zeigt euch. Habt keine Angst. Ich bin eure Große Wildnis, ich will euch in die Stadt führen und ein Heilmittel für euch finden .*
    Nichts.
    Ich versuche es erneut, diesmal ein wenig lauter. Wieder kommt keine Antwort, nicht einmal das leiseste Wispern. Also wiederhole ich meine Worte, werde lauter und lauter. Ich kann nicht glauben, dass niemand mehr hier ist. Bisher sind wir auf unserem Weg überall auf verborgenes Leben gestoßen, obwohl es längst keines mehr geben dürfte.
    Selbst auf einem Friedhof muss es Überlebende geben.
    Wenn ich nur wüsste, wo sie sich verstecken.
    Ich höre nichts als das hohle Echo meiner eigenen Stimme in meinem Kopf. Ich sehe nichts als Schwärze. Hätten uns die Tauben nur nie hierhergeführt. Hätte …
    Die Tauben . Natürlich. Warum habe ich nicht gleich daran gedacht?
    Der Ruf der Tauben.
    Zögernd versuche ich, die ersten Töne der Melodie anzustimmen, die die Tauben damals am Fluss gesungen haben, am Tag, nachdem wir Sidney verloren hatten. * So zeigen wir unsere tiefsten Gefühle *, haben sie gesagt. Und genau das will ich jetzt auch tun … Selbst wenn ich vielleicht nicht jeden

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