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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Torday
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den dunklen Himmel über mir und fühle den Regen in meinem Gesicht – wohin ist meine Zimmerdecke verschwunden? Dann kehrt qualvoll langsam die Erinnerung zurück. Ich drehe den Kopf auf dem nassen Asphalt, um zu sehen, was passiert ist. In unserer Einfahrt, unserer Straße. Der Ort, der sich bis vor wenigen Minuten noch wie ein Zuhause angefühlt hat.
    Im Schein der Sicherheitslampe sehe ich die Umrisse von Captain Skuldiss, der mit dem Rücken zu mir vor dem offenen Tor unserer Auffahrt steht. Er streicht sich die nassen Haare aus der Stirn und streckt seine Finger mit einem hässlichen Knacken. Von der anderen Straßenseite höre ich einen schrillen Schrei.
    Polly. Ich kann nicht sprechen, ich kann mich nicht rühren.
    Die Tauben zupfen aufgeregt an meinen Haaren.
    Skuldiss stößt seine Krücke in die Luft und ich erstarre. Aber der Schuss bleibt aus. Stattdessen flammen Flutlichter auf. Riesige Scheinwerfer, die ich bisher nicht bemerkt hatte, weil sie in den Schatten der Häuser und in der Dunkelheit hinter hohen Mauern und Toren verborgen waren, erleuchten die Straße wie am helllichten Tag.
    Wieder hebt Skuldiss die Krücke. Dem Feuerwerk aus Licht folgt ein Feuerwerk aus Lärm.
    Am anderen Ende der Straße taucht ein Transporter auf. Die Reifen lassen das Regenwasser spritzen, als er auf uns zufährt. Dann höre ich das Quietschen von Reifen und das Zischen von Bremsen. Er hält vor der Einfahrt, eine Metalltür gleitet zur Seite und Menschen in schweren Stiefeln springen heraus.
    Ich muss nicht hinschauen, um zu wissen, wer sie sind.
    Diesem Wagen sind wir zuletzt auf der Straße, die zur Farm führt, begegnet. Keuler.
    Aber jetzt ist kein Hirsch zur Stelle, der es mit ihnen aufnehmen könnte. Skuldiss und die Keuler versperren den einzigen Fluchtweg – mein Letztes Wild sitzt zwischen hohen Mauern und eisernen Toren in der Falle.
    Der Captain schwingt sich mit seinen Krücken auf die Straße und Polly läuft auf ihn zu. Aus dem Augenwinkel sehe ich sie aufgeregt gestikulieren, dann packt Skuldiss Polly und nimmt sie in den Schwitzkasten, während er die Krücke auf das Wild richtet.
    Kein Laut ist zu hören, alle halten die Luft an, nur der Regen platscht auf die Straße.
    Dann höre ich seine Stimme. »So, kleines Mädchens, wie du siehst, macht Captain Skuldiss keine halben Sachen.« Er schwingt seine Krücke im Kreis und nimmt nacheinander alle Tiere meines Letzten Wilds ins Visier, die Otter, die Marder, die Hasen – dabei haben sie ihm nicht das Geringste getan.
    Dann fragt er Polly in beiläufigem Ton, so als erkundige er sich nach ihrer Lieblingsfarbe: »Was meinst du, welches soll ich als Erstes töten, kleines Mädchens?«
    Polly antwortet nicht, aber sie keucht vor Schmerz auf, als Skuldiss seinen Würgegriff verstärkt. Aus seiner Stimme ist jede falsche Freundlichkeit gewichen.
    »Du gehst jetzt und bringst mir das dreckige Tiers, das ich als Erstes töten soll – und zwar sofort.« Er stößt sie zurück auf die Straße. Mit hängenden Schultern steht sie im Regen und starrt auf die Tiere. »Und nicht vergessen – Onkel Skuldiss hat dich im Auge, also keine miesen Tricks, Schätzchen«, sagt er und schwenkt die Krücke in ihre Richtung.
    Ich weiß nicht, wie lange Polly dasteht und in die aufgerissenen Augen der Tiere blickt.
    Ich versuche verzweifelt mich zu bewegen, etwas zu sagen, aber ich bin wie gelähmt.
    »Ich wa-ha-rte!«, ruft Captain Skuldiss mit seiner Singsangstimme.
    Sie schüttelt den Kopf.
    Er hebt die Krücke und stößt sie ihr in den Rücken. »Das Praktische an meinen Kugeln ist, dass sie auch bei kleinen Kinders wirken, weißt du.«
    Polly beginnt zu schluchzen, aber sie hebt weder den Arm noch deutet sie irgendwohin. Sie sieht die Tiere nicht mehr an, sondern starrt auf den Boden.
    Wütend stampft Skuldiss mit seiner Krücke auf.
    »Na gut, ganz wie du willst«, sagt er. Und dann beginnt er mit sich selbst zu reden. »Oh, was hast du gesagt, kleines Mädchens? Du hast das kranke Biest da drüben ausgewählt?«
    Er hebt seine Krücke und zielt auf eines der Tiere.
    Auf den zitternden, alten Hasen.
    »Dieses langohrige, hasenartige Ding. Sehr schön. Bist du sicher?«
    Polly reagiert nicht.
    »Ich habe gefragt, ob du dir sicher bist?«, wiederholt Skuldiss und schlägt ihr mit seiner Krücke in die Kniekehlen.
    Sie nickt fast unmerklich.
    »Vielen Dank, Kleine. Und jetzt schau zu, wie einfach das geht!«
    Ein Knall zerfetzt die Luft, Rauch mischt sich in den feuchten

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