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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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eben der, dass er nicht geschrieben habe.
     
    U. E.: Doch, einmal, in den Sand.
     
    J.-C. C.: Ach! Wenn Jesus geschrieben hätte, sagte Mani, statt das anderen zu überlassen! Welches Prestige, welche Autorität, welches unanfechtbare Wort! Aber gut. Er zog es vor zu predigen. Das Buch war noch nicht das, was wir heute Buch nennen, und Jesus war nicht Vergil. Im Zusammenhang mit den Vorläufern des Buches, den römischen volumina , komme ich noch einen Augenblick auf die Frage zurück, welche Anpassungsleistungen der wachsende Fortschritt der Technik erfordert. Da gibt es noch ein Paradox. Wenn wir einen Text über unseren Bildschirm laufen lassen, kehren wir da nicht zurück zu dem, was die Leser der volumina , der Rollen, ehedem praktizierten, also der Notwendigkeit, einen Text auseinanderzurollen, der rund um hölzerne Stäbe gewickelt ist, wie man sie auch in bestimmten alten Cafés in Wien noch sieht?
     
    U. E.: Nur dass das Auseinanderrollen nicht senkrecht vor sich geht, wie auf unseren Computern, sondern seitlich. Man braucht nur an die synoptischen Evangelien zu denken, die in Spalten nebeneinander angeordnet waren und die man von links nach rechts las, indem man die Rolle auseinanderrollte. Und da die Rollen schwer waren, musste man sie vielleicht auf einen Tisch legen.
     
    J.-C. C.: Oder man betraute zwei Sklaven mit dem Auseinanderrollen.
     
    U. E.: Ohne zu vergessen, dass bis zum hl. Ambrosius laut gelesen wurde. Er ist der erste, der anfing zu lesen, ohne ein Wort laut werden zu lassen. Was den hl. Augustinus in abgrundtiefe Ratlosigkeit stürzte. Warum mit lauter Stimme? Wenn Sie einen sehr unleserlich von Hand geschriebenenBrief erhalten, sind Sie manchmal genötigt, sich durch lautes Lesen weiterzuhelfen. Ich lese häufig mit lauter Stimme, wenn ich Briefe von französischen Briefpartnern bekomme, die letzten auf der Welt, die noch von Hand schreiben.
     
    J.-C. C.: Sind wir wirklich die letzten?
     
    U. E.: Ja. Das ist das Erbe einer speziellen Erziehung, das will ich nicht leugnen. Das hat man uns übrigens früher auch empfohlen. Ein mit der Maschine geschriebener Brief konnte zu sehr einem Geschäftsbrief ähneln. In anderen Ländern ist es zulässig, dass man um der Verständlichkeit willen lieber gut leserliche Briefe schreibt, weshalb der Computer unser größter Verbündeter ist. Bei den Franzosen nicht. Die Franzosen schicken einem nach wie vor handgeschriebene Briefe, die heute niemand mehr entziffern kann. Abgesehen von diesem Sonderfall Frankreich hat man überall sonst nicht nur die Angewohnheit verloren, Briefe von Hand zu schreiben, sondern auch, sie zu lesen. Die Setzer von einst waren imstande, sämtliche Handschriften der Welt zu entziffern.
     
    J.-C. C.: Das Einzige, was noch per Hand geschrieben wird, wenn auch nicht immer: die Arztrezepte.
     
    U. E.: Zu deren Entzifferung hat die Gesellschaft die Apotheker erfunden.
     
    J.-C. C.: Wenn die handschriftliche Korrespondenz verlorengeht, werden ganze Berufszweige verschwinden. Graphologen, öffentliche Schreiber, Sammler und Autographenhändler … Was mir beim Gebrauch des Computers fehlt, das sinddie Entwürfe. Vor allem bei Dialogszenen. Mir fehlen diese Durchstreichungen, die am Rand hingeworfenen Worte, dieses erste Durcheinander, diese Pfeile, die in alle Richtungen gehen, Zeichen des Lebens, der Bewegung, eines noch unklaren Suchens. Und noch etwas: der Überblick über das Ganze. Wenn ich eine Szene für den Film schreibe und ich brauche sechs Seiten, um sie zu erzählen, dann möchte ich diese sechs Seiten geschrieben vor mir sehen, um ihren Rhythmus zu spüren, um mit einem Blick eventuelle Längen zu erkennen. Ich muss die Seiten ausdrucken und vor mich hinlegen. Was schreiben Sie noch mit der Hand?
     
    U. E.: Die Notizen für meine Sekretärin. Aber nicht nur. Ein neues Buch fange ich immer mit handschriftlichen Notizen an. Ich mache Skizzen, Diagramme, was mit dem PC nicht so leicht ist.
     
    J.-C. C.: Diese Sache mit den Entwürfen erinnert mich an einen Besuch von Borges, 1976 oder 1977. Ich hatte gerade mein Haus in Paris gekauft, und es war im Umbau, ein großes Chaos. Ich hatte Borges in seinem Hotel abgeholt. Wir kommen an, überqueren den Hof, er an meinem Arm, weil er kaum noch etwas sieht, wir steigen die Treppe hinauf, und ohne meinen Fauxpas zu bemerken, halte ich es für angezeigt, mich für das Durcheinander zu entschuldigen, das er natürlich gar nicht sieht. Er antwortet mir: »Ja, ich verstehe. Es

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