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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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Kronen«, die damals d’Annunzio, Carducci und Pascoli waren. Bis zum Faschismus galt d’Annunzio als der große Nationaldichter. Nach dem Krieg wurde Pascoli als Vorläufer der Dichtung des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt. Carducci galt damals als Rhetoriker und ist verschwunden. Aber jetzt gibt es eine Bewegung zugunsten von Carducci, jetzt sagt man gern, alles in allem sei er gar nicht schlecht gewesen.
    Die drei Kronen der nachfolgenden Generation waren Giuseppe Ungaretti, Eugenio Montale und Umberto Saba. Man fragte sich, wer von den dreien den Nobelpreis verdient hätte, doch 1959 ging dieser an Salvatore Quasimodo. Montale, zweifellos der größte italienische Dichter des 20. Jahrhunderts (und meiner Meinung nach einer der größten Dichter des 20. Jahrhunderts überhaupt) hat den Nobelpreis erst 1975 bekommen.
     
    J.-C. C.: Für meine Generation war fünfundzwanzig oder dreißig Jahre lang das italienische Kino das beste der Welt. Jeden Monat warteten wir auf zwei, drei neue Filme aus Italien,die wir auf keinen Fall versäumen wollten. Sie waren Teil unseres Lebens, mehr als unserer Kultur. Eines traurigen Tages ist dieses Kino dann ausgetrocknet und bald erloschen. Man sagte uns, in erster Linie sei daran das italienische Fernsehen schuld, das viele dieser Filme mit produziert hatte. Aber mit Sicherheit hat dieses Kino auch an jenem mysteriösen Erschöpfungssyndrom gelitten, von dem wir schon sprachen. Plötzlich lassen die Lebenskräfte nach, die Regisseure altern, die Schauspieler auch, die Sujets wiederholen sich, etwas Wesentliches ist auf der Strecke geblieben. Dieses italienische Kino gibt es nicht mehr, aber es war eins der größten.
    Was bleibt also von diesen dreißig Jahren, die uns zum Lachen und zum Weinen gebracht haben? Fellini bezaubert mich immer noch. Antonioni scheint mir noch hoch geachtet. Haben Sie seinen letzten Kurzfilm gesehen, Lo sguardo di Michelangelo ? Das ist einer der schönsten Filme der Welt! Antonioni hat diesen Film im Jahre 2000 gedreht, er ist nicht länger als 15 Minuten, ohne ein Wort, und zum einzigen Mal in seinem Leben tritt Antonioni selbst darin auf. Man sieht, wie er die Kirche San Pietro in Vincoli in Rom betritt, allein. Langsam geht er auf das Grabmal Julius’ II. zu, und der ganze Film ist ein ununterbrochener Dialog ohne ein einziges gesprochenes Wort, ein Hin und Her von Blicken zwischen Antonioni und dem Moses des Michelangelo. Unser ganzes Geschwätz, dieser ganze Wahnwitz des Auftretens und Redens, wie es für unsere Epoche typisch ist, diese grundlose Erregung, all das wird hier in Frage gestellt durch die Stille und durch den Blick des Regisseurs. Er ist gekommen, um Abschied zu nehmen. Er wird nicht mehr wiederkommen, das weiß er. Er, der fortgeht, ist gekommen, um dem unbegreiflichen Meisterwerk, das bleiben wird, einen letzten Besuchabzustatten. Wie um es ein letztes Mal zu befragen. Wie um zu versuchen, in ein Geheimnis einzudringen, zu dem die Worte keinen Zugang haben. Der Blick, den Antonioni ihm im Hinausgehen zuwirft, ist zutiefst bewegend.
     
    U. E.: Mir scheint, Antonioni ist in den letzten Jahren etwas zu sehr in Vergessenheit geraten. Im Gegensatz dazu ist der Ruhm Fellinis seit seinem Tod beständig weitergewachsen.
     
    J.-C. C.: Zweifellos ziehe ich ihn vor, auch wenn er noch immer nicht den ihm gebührenden Platz einnimmt.
     
    U. E.: Zu seinen Lebzeiten, in einer Zeit extremer politischer Radikalisierung, hat man Fellini für einen Träumer gehalten, der sich für die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht interessierte. Nach seinem Tod hat die Wiederentdeckung seines Werkes eine Neubewertung ermöglicht. Vor kurzem habe ich im Fernsehen La dolce vita (Das süße Leben) wiedergesehen. Das ist ein ganz großes Meisterwerk.
     
    J.-C. C.: Wenn vom italienischen Kino die Rede ist, denken viele zuerst an Pietro Germi, Luigi Comencini oder Dino Risi, an die italienische Filmkomödie. Ich fürchte, man vergisst darüber jene, die für uns damals wie Halbgötter waren. Ein Regisseur wie Miloš Forman bekam Lust zum Filmemachen, als er in seiner Jugend die Filme des italienischen Neorealismus sah, vor allem die von Vittorio De Sica. Für ihn gab es auf der einen Seite das italienische Kino, auf der anderen Chaplin.
     
    U. E.: Kommen wir zurück zu unserer Hypothese. Wenn der Staat zu mächtig ist, verstummt die Dichtung. Wenn der Staat tief in der Krise steckt, wie im Italien der Nachkriegszeit, dann ist die Kunst frei zu sagen, was sie

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