Die große Zukunft des Buches
ist ein Entwurf.« Alles, selbst ein Haus im Umbau, bezog sich bei ihm auf Literatur.
U. E.: Apropos Entwürfe, hier würde ich gern auf ein sehr beziehungsreiches Phänomen Bezug nehmen, das mit den durch die neuen Techniken verursachten kulturellen Veränderungenzusammenhängt. Wir benutzen den Computer, aber wir drucken wie die Verrückten. Für einen Text von zehn Seiten drucke ich fünfzigmal. Ich vernichte damit Dutzende Bäume, während ich, bevor der Computer in mein Leben kam, vielleicht zehn vernichtete.
Der italienische Philologe Gianfranco Contini praktizierte das, was er als »Kritik der scartafacci « bezeichnete, das heißt das Studium der verschiedenen Phasen, die ein Werk durchlaufen hat, bevor es seine endgültige Form erlangte. Wie werden wir dieses Studium der Varianten mit dem Computer fortführen? Nun, wider alle Erwartung vernichtet der Computer die Zwischenstufen nicht, er multipliziert sie. Als ich Der Name der Rose schrieb, in einer Zeit also, wo ich noch kein Textverarbeitungsprogramm zur Verfügung hatte, übergab ich jemandem das überarbeitete Manuskript zum Abtippen. Woraufhin ich die neue Version korrigierte und wieder zum Abtippen gab. Aber man konnte nicht endlos so weitermachen. In einem bestimmten Augenblick war ich gezwungen, die Version, die ich in Händen hielt, als die endgültige anzusehen. Ich konnte nicht mehr.
Mit dem Computer hingegen drucke ich aus, ich korrigiere, arbeite meine Korrekturen ein, drucke wieder aus und so weiter. Das bedeutet, dass sich meine Entwürfe vervielfachen. Auf diese Weise kann man zweihundert Versionen von ein und demselben Text haben. So verschaffen Sie den Philologen ein Mehr an Arbeit. Und die Serie ist damit noch nicht komplett. Wieso? Es wird immer eine »Phantomversion« geben. Ich schreibe einen Text A am PC. Ich drucke ihn aus. Ich korrigiere ihn. Damit haben wir einen Text B, und ich gebe die Korrekturen am PC ein: woraufhin ich wieder ausdrucke und glaube, einen Text C in Händen zu haben (künftige Philologen werden das glauben). In Wirklichkeithandelt es sich aber um einen Text D, denn während ich die Korrekturen am PC einarbeite, werde ich mir doch gewiss die Freiheit nehmen, noch mehr zu ändern. Zwischen Version B und D, zwischen dem Text, den ich korrigiert habe, und der Version, in der ich am PC die Korrekturen eingearbeitet habe, gibt es also eine Phantomversion, welche die eigentliche Version C ist. Dasselbe gilt für die anschließenden Korrekturen. Die Philologen werden also ebenso viele Phantomversionen zu rekonstruieren haben wie es Hin und Her zwischen Bildschirm und Papier gegeben hat.
J.-C. C.: Vor fünfzehn Jahren hat eine amerikanische Autorenschule sich gegen den Computer ausgesprochen, mit dem Argument, dass die verschiedenen Stadien des Textes auf dem Bildschirm schon wie gedruckt wirken, mit der Würde des Endgültigen versehen. Auch erscheine es schwierig, sie kritisch zu betrachten und zu korrigieren. Der Bildschirm gebe ihnen die Autorität und das Ansehen eines so gut wie veröffentlichten Textes. Im Gegensatz dazu meinte eine andere Schule, der Computer biete, wie Sie sagen, die Möglichkeit zu unendlich vielen Korrekturen und Verbesserungen.
U. E.: Aber natürlich, denn der Text, den wir auf dem Bildschirm sehen, ist schon der Text eines anderen. Man kann also seine ganze kritische Grausamkeit an ihm auslassen.
J.-P. DE T.: Sie, Jean-Claude, haben vom Buch vor dem Buch gesprochen, sogar noch vor den Kodizes, das heißt von Papyrusrollen, den volumina . Das ist zweifellos der Teil in der Geschichte des Buches, der uns am wenigsten vertraut ist .
U. E.: In Rom beispielsweise gab es außer Bibliotheken auch Geschäfte, wo Bücher in Form von Rollen verkauft wurden. Ein Interessent ging zu dem Buchhändler und bestellte bei ihm, sagen wir, ein Exemplar des Vergil. Der Buchhändler bat ihn, in vierzehn Tagen wiederzukommen, und das Buch war eigens für ihn kopiert worden. Vielleicht hatte man von den gefragtesten Werken ein paar Stück auf Lager. Wir haben sehr ungenaue Vorstellungen davon, wie der Buchverkauf vor sich ging, auch nach Erfindung des Buchdrucks. Die ersten gedruckten Bücher wurden übrigens nicht gebunden gekauft. Man kaufte Blätter, die dann gebunden werden mussten. Und die Vielfalt der Bindungen bei den Werken, die wir sammeln, ist einer der Gründe für das Glück, das wir Bücherliebhaber empfinden können. Die Bindung kann zwischen zwei Exemplaren ein und desselben
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