Die große Zukunft des Buches
Neandertaler nicht wusste, dass er der Neandertaler ist. Da hätten wir also eine orale Kultur, die nunmehr von Büchern bestimmt ist.
Aber kommen wir zurück zu den alten Büchern. Wir stellen fest, dass gedruckte Bücher in gebildeten Kreisen am meisten verbreitet waren. Aber sie waren gewiss weitaus verbreiteter als Manuskripte, das heißt als die Kodizes, die ihnen vorausgingen, die Erfindung des Buchdrucks stellt daher zweifellos eine echte demokratische Revolution dar. Die Reformation und die Verbreitung der Bibel sind ohne Mitwirkung des Buchdrucks nicht vorstellbar. Im 16. Jahrhundert sollte der venezianische Drucker Aldo Manuzio sogar auf die großartige Idee kommen, das Taschenbuch herzustellen, das viel leichter zu transportieren ist. Nie ist meines Wissens ein wirksameres Mittel erfunden worden, die Information transportabel zu machen. Selbst der Computer mit seinen Gigabytes braucht Strom. Ich wiederhole es. Das Buch ist wie das Rad: Hat man es erst einmal erfunden, kann man nicht mehr weiter gehen.
J.-C. C.: Apropos Rad, das ist eines der großen Rätsel, das die Spezialisten für präkolumbianische Kulturen erst noch lösen müssen. Wie soll man sich erklären, dass keine dieser Kulturen das Rad erfunden hat?
U. E.: Vielleicht, weil die Mehrzahl dieser Kulturen so hoch oben siedelte, dass das Rad gegen das Lama keine Chance hatte.
J.-C. C.: Aber das sind enorme Strecken und Entfernungen auf diesen Hochebenen in Mexiko. Es ist ein sonderbares Rätsel, weil sie bei der Herstellung gewisser Spielzeuge das Rad durchaus kannten.
U. E.: Sie wissen, dass Heron von Alexandrien im 1. Jahrhundert vor Christus der Schöpfer einer großen Zahl von unglaublichen Erfindungen war, die jedoch ebenso auf dem Niveau des Spielzeugs blieben.
J.-C. C.: Man erzählt sich sogar, er habe einen Tempel erfunden, dessen Türen sich automatisch öffneten, wie heutzutage unsere Garagentore. Und das, um den Göttern mehr Prestige zu verleihen.
U. E.: Nur war es leichter, bestimmte Arbeiten von Sklaven ausführen zu lassen, als diese Erfindungen umzusetzen.
J.-C. C.: Da Mexiko nach beiden Seiten vierhundert Kilometer vom Meer entfernt liegt, gab es ein System von Staffelläufern, die in weniger als einem Tag den Fisch frisch auf den Tisch des Kaisers brachten. Jeder von ihnen lief mit höchster Geschwindigkeit über vier- oder fünfhundert Meter, dann gab er seine Last ab. Das bestätigt Ihre Hypothese.
Ich komme noch einmal auf die Verbreitung der Bücher zurück. Zu diesem Rad des Wissens, das perfekt ist, wie Sie sagen. Man sollte sich daran erinnern, dass das 16. und schon das 15. Jahrhundert in Europa eine besonders unruhige Epoche waren, wo diejenigen, die wir Intellektuelle nennen würden, in engem Briefkontakt miteinander standen. Sie schrieben sich auf Latein. Und in diesen schwierigen Zeiten war das Buch ein Gegenstand, der überall mühelos zirkulierenkonnte. Es war ein Werkzeug des Aufbewahrens. Ebenso zogen sich am Ende des Römischen Reichs gewisse Intellektuelle in Klöster zurück, um alles zu kopieren, was sich retten ließ von einer Kultur, die zusammenbrach, das spürten sie. Das passiert praktisch in allen Epochen, wenn eine Kultur in Gefahr ist.
Schade, dass das Kino dieses Prinzip des Bewahrens und des Schutzes nicht entwickelt hat. Kennen Sie dieses in den USA publizierte Buch mit dem hübschen Titel Photographies de films perdus (Fotografien aus verlorenen Filmen)?Von diesen Filmen bleiben nur ein paar Bilder, ausgehend von denen wir versuchen müssen, den Film selbst zu rekonstruieren. Das ist ein wenig die Geschichte unseres iranischen Buchbinders. Aber da ist noch mehr. Die Übertragung des Films in Erzählform, das heißt, das von einem Film abgeleitete, illustrierte Buch ist inzwischen ein altes Verfahren. Es geht zurück auf die Zeit des Stummfilms. Wir haben also einige von diesen, aus Filmen abgeleiteten Büchern aufbewahrt, während die Filme selbst verschwunden sind. Das Buch hat den Film, dem es seine Existenz verdankt, überlebt. Es gibt also bereits eine Archäologie des Films. Schließlich eine Frage, die ich Ihnen stelle und auf die ich keine Antwort gefunden habe: Konnte man in die Bibliothek von Alexandria hineingehen wie in die Bibliothèque nationale, sich hinsetzen und ein Buch lesen?
U. E.: Das weiß ich auch nicht, und ich frage mich, ob wir es überhaupt wissen. Wir müssen doch zunächst fragen, wie viele Menschen lesen konnten. Wir wissen
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