Die große Zukunft des Buches
auch nicht, wie viele Bände die Bibliothek von Alexandria besaß. Wir sind besser unterrichtet über mittelalterliche Bibliotheken, und das ist immer noch viel weniger, als wir denken.
J.-C. C.: Erzählen Sie mir von Ihrer Sammlung. Wie viele Inkunabeln im eigentlichen Sinn besitzen Sie?
J.-P. DE T.: Sie haben schon mehrfach von »Inkunabeln« gesprochen. Wir haben verstanden, worum es sich dabei handelt, um alte Bücher. Aber kann man das etwas genauer fassen?
U. E.: Ein italienischer Journalist, ein durchaus gebildeter Mann übrigens, schrieb eines Tages von einer italienischen Bibliothek, dass es dort Inkunabeln aus dem 13. Jahrhundert gebe! Oft glaubt man, eine Inkunabel sei eine illuminierte Handschrift …
J.-C. C.: »Inkunabeln« nennt man sämtliche Bücher, die zwischen der Erfindung des Buchdrucks und der Nacht des 31. Dezember 1500 gedruckt wurden. »Inkunabel«, vom lateinischen incunabula , bedeutet die »Wiege« der Geschichte des gedruckten Buches, mit anderen Worten, alle im 15. Jahrhundert gedruckten Bücher, auf Deutsch auch Wiegendrucke genannt. Als wahrscheinliches Druckdatum der Gutenberg-Bibel auf 42 Zeilen (die leider im Kolophon, das heißt in den Angaben, die sich in alten Büchern auf der letzten Seite finden, keine Jahresangabe zeigt) wird allgemein 1452– 1455 angenommen. Die folgenden Jahre bilden diese »Wiege«, eine Epoche, die man übereinstimmend mit dem letzten Tag des Jahres 1500 enden lässt, da das Jahr 1500 ja noch zum 15. Jahrhundert zählt. Genauso wie das Jahr 2000 noch zum 20. Jahrhundert gehört. Weshalb es, nebenbei bemerkt, völlig unsinnig war, den Beginn des 21. Jahrhunderts am 31. Dezember 1999 zu feiern. Wir hätten ihn am 31. Dezember 2000, dem wirklichen Ende des Jahrhunderts, feiernmüssen. Diese Dinge haben wir bei einer früheren Gelegenheit schon erörtert.
U. E.: Man braucht es ja nur an den Fingern abzuzählen, nicht wahr? 10 ist Teil der ersten Dekade. 100 gehört also zum Hundert. Man muss bis zum 31. Dezember des Jahres 1500 gehen – fünfzehn mal 100 –, bis ein neues Hundert anbrechen kann. Die willkürliche Festsetzung dieses Datums ist der pure Snobismus, denn ein 1499 gedrucktes Buch unterscheidet sich in nichts von einem Buch, das im Jahr 1502 gedruckt wurde. Um ein Buch, das unglücklicherweise erst 1501 gedruckt wurde, besser zu verkaufen, nennen die Antiquare es sehr geschickt eine »Post-Inkunabel«. In diesem Sinn wird auch dieses Buch hier, also dasjenige, das aus unseren Unterhaltungen hervorgeht, eine Post-Inkunabel sein.
Um nun Ihre Frage zu beantworten, ich besitze nur etwa dreißig Inkunabeln, aber ich habe mit Sicherheit die »Unumgänglichen« (wie man heute gern sagt), wie beispielsweise die Hypnerotomachia Poliphili , die Nürnberger Chronik , die von Ficinus übersetzten hermetischen Werke, den Arbor vitae crucifixae von Ubertin von Casale, der eine Figur in meinem Roman Der Name der Rose geworden ist, und so weiter. Meine Sammlung ist sehr speziell. Es handelt sich um eine Bibliotheca Semiologica Curiosa Lunatica Magica et Pneumatica , mit anderen Worten, um eine Sammlung, die sich auf die okkulten und auf die falschen Wissenschaften konzentriert. Ich habe Ptolemäus, der irrte, was die Erdbewegung angeht, aber ich habe keinen Galilei, der recht hatte.
J.-C. C.: Also müssen Sie auch die Werke von Athanasius Kircher besitzen, ein enzyklopädischer Geist, wie Sie ihn lieben, und zweifellos Verbreiter nicht weniger falscher Ideen …
U. E.: Ich besitze alle seine Werke bis auf das erste, die Ars Magnesia , das man nirgends findet, obwohl es sich um ein kleines Büchlein ohne Abbildungen handelt. Wahrscheinlich hat man nur sehr wenige Exemplare davon gedruckt, zu einer Zeit, als Kircher noch nicht bekannt war. Dieses Büchlein war so ohne jeden Charme, dass niemand daran gedacht hat, es sorgfältig aufzuheben. Aber ich habe auch die Werke von Robert Fludd und einigen anderen extravaganten Geistern.
J.-P. DE T.: Können Sie etwas über diesen Kircher sagen ?
J.-C. C.: Das war ein deutscher Jesuit aus dem 17. Jahrhundert, der lang in Rom gelebt hat. Er ist Verfasser von etwa dreißig Büchern, die sowohl von Mathematik, Astronomie und Musik handeln als auch von Akustik, Archäologie, Medizin, China, dem Latium, Vulkanologie und mehr. Gelegentlich wurde er als Vater der Ägyptologie angesehen, auch wenn sein Verständnis der Hieroglyphen, die er als Symbole auffasste, völlig falsch
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