Die große Zukunft des Buches
sind alle Griechen Einwohner von Piräus.« Sie haben den Verdacht, dass da etwas nicht stimmt, weil Sie wissen, dass es Griechen gibt, die Spartaner sind, zum Beispiel. Aber Sie sind nicht imstande zu beweisen, wo und wie er sich geirrt hat. Dazu müssten Sie alle Regeln der formalen Logik kennen.
J.-C. C.: Meiner Meinung nach lässt der Dumme es nicht bei einem Irrtum bewenden. Er vertritt ihn lauthals, er proklamiertihn, er will, dass alle ihn hören. Es ist wirklich erstaunlich zu sehen, mit welchem Getöse die Dummheit auftritt: »Wir wissen jetzt aus sicherer Quelle …« und dann irgendein enormer Unfug.
U. E.: Sie haben völlig recht. Wenn man eine allgemeine, triviale Wahrheit mit großem Nachdruck vertritt, wird sie sogleich zur Dummheit.
J.-C. C.: Flaubert sagt, die Blödheit bestehe darin, zu einem Schluss gelangen zu wollen. Der Blöde will ganz allein zu einer klaren und endgültigen Lösung kommen. Er will eine Frage ein für allemal abschließen. Aber solche Blödheit, die oft von einer bestimmten Gesellschaft als Wahrheit akzeptiert wird, ist für uns aus dem historischen Abstand extrem aufschlussreich. Die Geschichte der Schönheit und der Klugheit, auf die wir unsere Tradition reduzieren, oder besser, auf die andere unsere Tradition reduziert haben, stellt nur einen verschwindend geringen Teil der menschlichen Aktivitäten dar, wir sagten es schon. Vielleicht sollte man – was Sie im Übrigen ja bereits tun – eine allgemeine Geschichte der Irrtümer und der Ignoranz ins Auge fassen, und auch eine Geschichte der Hässlichkeit.
U. E.: Wir sprachen von Aetius und der Art, wie er die Arbeiten der Vorsokratiker wiedergegeben hat. Kein Zweifel: Der Mann war dumm. Was die Blödheit angeht, nach allem, was Sie darüber gesagt haben, scheint sie mir nicht mit der Dummheit identisch zu sein. Sie ist eher eine Art, die Dummheit taktisch einzusetzen.
J.-C. C.: Auf emphatische, oft deklamatorische Weise.
U. E.: Man kann dumm sein, ohne völlig verblödet zu sein. Sozusagen zufällig dumm.
J.-C. C.: Ja, aber das macht man doch nicht zum Beruf.
U. E.: Man kann von der Blödheit leben, das stimmt. In dem Beispiel, das Sie zitierten, ist die Behauptung, Jesus sei mütterlicherseits aus »bester Familie« meiner Meinung nach keine vollkommene Dummheit. Ganz einfach, weil es rein sachlich betrachtet stimmt. Ich glaube, wir befinden uns hier entschieden auf der Seite der Blödheit. Ich kann von jemandem sagen, er sei aus guter Familie. Von Jesus Christus kann ich es nicht sagen, weil das doch weniger wichtig ist, als der Sohn Gottes zu sein. Quélen spricht also eine historische Wahrheit aus, aber im falschen Kontext. Der Blöde redet immer zur Unzeit.
J.-C. C.: Ich denke hier an diesen anderen Spruch: »Ich bin nicht aus guter Familie. Meine Kinder wohl.« Sofern es sich nicht um einen Komiker handelt, haben wir es hier zumindest mit einem selbstgefälligen Dummkopf zu tun. Kommen wir noch einmal zurück zu Monseigneur Quélen. Bei ihm handelt es sich immerhin um den Erzbischof von Paris, sicherlich ein äußerst konservativer Geist, aber zu dieser Zeit in Frankreich eine große moralische Autorität.
U. E.: Korrigieren wir also unsere Definition. Blödheit ist eine Art, die Dummheit nachhaltig und mit stolzer Selbstgewissheit einzusetzen.
J.-C. C.: Ja, nicht schlecht. Wir könnten unsere Unterhaltung auch um Zitate von den Leuten bereichern – und das sind nicht wenige –, die versucht haben, diejenigen, die wir heute als unsere großen Autoren oder Künstler betrachten, zu diffamieren. Beschimpfungen tönen immer viel lauter als Lob. Das muss man zugeben und verstehen. Ein echter Dichter muss sich seinen Weg durch eine Flut von Beschimpfungen hindurch bahnen. Beethovens Fünfte war »ein Haufen Schweinereien«, »das Ende der Musik«. Und man staunt, welch illustre Namen da auftauchen, wenn es darum geht, Shakespeare, Balzac, Hugo und so weiter mit Beschimpfungen zu bedenken. Sogar Flaubert konnte es sich nicht verkneifen, über Balzac zu schreiben: »Was für ein Mann hätte Balzac sein können, wenn er hätte schreiben können.«
Und dann ist da die Dummheit patriotischer, militaristischer, nationalistischer und rassistischer Art. Sie könnten im Wörterbuch der Dummheit den Artikel über die Juden nachlesen. Die Zitate zeugen weniger von Hass als von schlichter Dummheit. Von bösartiger Dummheit. Zum Beispiel: Juden haben von Natur aus Sinn fürs Geld.
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