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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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Der Beweis: Hat eine jüdische Mutter eine schwierige Geburt, braucht man nur ein paar Geldstücke über dem Bauch der Gebärenden klimpern zu lassen, damit das kleine Judenkind mit ausgestreckten Händen herauskommt. Das ist 1888 von einem gewissen Fernand Grégoire geschrieben. Geschrieben und veröffentlicht. Und Fourier, der sagte, die Juden seien »die Pest und die Cholera des Gesellschaftskörpers«. Und selbst Proudhomme notierte in seinen Heften: »Man muss diese Rasse nach Asien zurückschicken oder sie ausrotten.« Das sind »Wahrheiten«, ausgesprochen von Menschen, die sich oft für wissenschaftliche Geister halten. »Wahrheiten«, die einem kalte Schauder über den Rücken jagen.
     
    U. E.: Diagnose: Dummheit oder Idiotie? Einen Fall von Apotheose der Blödheit (in dem Sinn, in dem ich sie verstehe) bietet Joyce in seinem Bericht von einer Unterhaltung mit Mister Skeffington: »Ich habe gehört, dass Ihr Bruder gestorben ist«, sagt Skeffington. »Und er war erst zehn Jahre alt«, bekommt er zur Antwort. Skeffington entgegnet: »Das ist trotzdem schmerzhaft.«
     
    J.-C. C.: Die Dummheit liegt manchmal nah beim Irrtum. Es ist diese Leidenschaft für die Dummheit, die mich an Ihren Untersuchungen zum Falschen stets angezogen hat. Da hätten wir also zwei Wege: Jede Epoche hat auf der einen Seite ihre Wahrheit und auf der anderen ihre notorischen, ausgewachsenen Dummheiten, aber die Tradition will nur die Wahrheit vermitteln und weitergeben. Die Dummheit wird in gewisser Weise ausgefiltert. Ja, wie es ein »politically correct« gibt, so gibt es ein »intellectually correct«. Anders gesagt, eine gute Art des Denkens. Ob wir wollen oder nicht.
     
    U. E.: Das ist der Lackmustest, der uns erlaubt zu bestimmen, ob wir es mit einer Säure oder einer Lauge zu tun haben. Der Lackmustest würde uns in jedem dieser Fälle erlauben herauszufinden, ob wir es mit einem Dummen oder einem Blöden zu tun haben. Aber um auf Ihre Annäherung zwischen der Dummheit und dem Falschen zurückzukommen: Das Falsche ist nicht zwangsläufig Ausdruck von Dummheit oder Blödheit. Es ist ganz einfach ein Irrtum. Ptolemäus glaubte wirklich, dass die Erde unbeweglich ist. Mangels wissenschaftlicher Information beging er einen Irrtum. Aber vielleicht entdecken wir ja morgen, dass die Erde sich nicht um die Sonne dreht, und dann werden wir Ptolemäus’ Weisheit zu würdigen wissen.
    Unlauter handeln bedeutet, das Gegenteil von dem zu sagen, was man für wahr hält. Den Irrtum begehen wir aber stets in gutem Glauben. Der Irrtum durchzieht also die gesamte Menschheitsgeschichte, und das ist auch besser so, sonst wären wir ja Götter. Der Begriff des »Falschen«, den ich untersucht habe, ist in Wirklichkeit sehr subtil. Da ist die Fälschung, die aus der Nachahmung von etwas als Original Aufgefasstem entsteht und die vollkommene Identität mit seinem Vorbild wahren muss. Zwischen Original und Fälschung wird Ununterscheidbarkeit im Leibnizschen Sinne bestehen. Das Falsche besteht hier darin, von einer Sache, von der man weiß, dass sie falsch ist, zu behaupten, sie sei wahr. Und da ist andererseits die falsche Überlegung des Ptolemäus, der in gutem Glauben spricht und sich irrt. Aber hier geht es nicht darum, andere davon zu überzeugen, dass die Erde unbeweglich ist, obwohl man weiß, dass sie sich in Wirklichkeit um die Sonne dreht. Nein. Ptolemäus glaubt wirklich, dass die Erde unbeweglich ist. Die Fälschung hat nichts mit dem zu tun, was wir aus dem zeitlichen Abstand und weil es sich um Ptolemäus handelt, einfach als irriges Wissen betrachten.
     
    J.-C. C.: Mit folgender Ergänzung, die unseren Versuch einer Definition nicht erleichtern wird: Picasso räumte ein, dass er auch falsche Picassos machen könne. Er rühmte sich sogar, die besten falschen Picassos der Welt machen zu können.
     
    U. E.: De Chirico gab ebenfalls zu, falsche de Chiricos gemacht zu haben. Und ich selbst muss gestehen, dass ich einen falschen Eco produziert habe. Eine italienische Satirezeitschrift, eine Art Charlie Hebdo , hatte eine Sondernummer des Corriere della Sera zur Landung der Marsmenschen aufder Erde vorbereitet. Das war natürlich eine Fälschung. Man bat mich um einen falschen Artikel von mir selbst, eine Art Eco-Parodie.
     
    J.-C. C.: Das ist eine Art, sich selbst zu entfliehen, seinem Fleisch, seiner Materialität. Wenn nicht gar seinem Geist.
     
    U. E.: Aber vor allem, uns selbst zu kritisieren, unsere Platitüden zur Schau zu

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