Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
Vom Netzwerk:
stellen, denn es sind Platitüden, die ich wiederholen muss, um »einen Eco« zu machen. Eine Fälschung seiner selbst zu produzieren ist also sehr gesund.
     
    J.-C. C.: Dasselbe gilt für unsere Untersuchung zur Dummheit, die mehrere Jahre in Anspruch genommen hat. Das war eine lange Zeit, in der Bechtel und ich verbissen nur sehr schlechte Bücher lasen. Wir durchforsteten die Kataloge der Bibliotheken, und bei bestimmten Titeln konnten wir uns ausmalen, welche Schätze uns da erwarteten. Wenn Sie auf Ihrer Liste einen Titel entdecken wie Vom Einfluss des Velozipeds auf die guten Sitten , können Sie sicher sein, dass Sie auf Ihre Kosten kommen.
     
    U. E.: Das Problem entsteht dann, wenn das Verrückte in Ihr Leben eingreift. Wie ich bereits sagte, habe ich den von den vanity- Verlagen publizierten Narren eine Untersuchung gewidmet, und für mich war klar, dass ich ihre Ideen ironisch referierte. Nun haben aber einige von ihnen diese Ironie gar nicht bemerkt und mir Briefe geschickt, um mir zu danken, dass ich ihre Gedanken ernst genommen habe. Dasselbe beim Foucaultschen Pendel , das die »Wahrheitsträger« aufs Korn nimmt und bei diesen gelegentlich unerwartete Beifallsbekundungen ausgelöst hat. Noch immer erhalteich Anrufe (besser gesagt, meine Frau oder meine Sekretärin, die sie abfangen) von einem gewissen Großmeister der Templer.
     
    J.-C. C.: Ich zitiere Ihnen, damit wir was zu lachen haben, einen Brief, der in unser Wörterbuch der Dummheit aufgenommen wurde, und Sie werden den Grund dafür augenblicklich verstehen. Wir haben ihn in der Apostolischen Missionszeitung gefunden, in der Revue des Missions apostoliques – ja, sogar die haben wir gelesen. Ein Priester dankt seinem Briefpartner, dass er ihm ein wunderwirksames Wasser geschickt hat, das auf den »Kranken« »ohne dessen Wissen« einen sehr guten Einfluss gehabt hat. »Ich habe ihm ohne sein Wissen neun Tage lang davon zu trinken gegeben, und er, der vier Jahre lang zwischen Leben und Tod ausgeharrt hatte, er, der vier Jahre lang standgehalten hat, mit einer Sturheit, die einen zur Verzweiflung treiben konnte, und unter gotteslästerlichen Flüchen, die einen erschauern ließen, ist nach seiner Novene sanft entschlafen, im Gefühl einer Frömmigkeit, die umso tröstlicher ist, als man sie kaum erwarten durfte.«
     
    U. E.: Die Schwierigkeit, die wir verspüren, wenn wir entscheiden sollen, ob dieser Typ da ein Idiot, ein Dummkopf oder ein Blödian ist, rührt daher, dass diese Kategorien Idealtypen sind. Nun werden wir aber bei einem Individuum meistens Mischformen dieser drei Haltungen antreffen. Die Wirklichkeit ist wesentlich komplexer als diese Typologie.
     
    J.-C. C.: Ich habe seit Jahren nicht mehr über diese Themen gesprochen, aber es beeindruckt mich, wieder einmal feststellen zu können, wie anregend die Beschäftigung mit derDummheit ist. Nicht nur weil sie die Sakralisierung des Buches fragwürdig werden lässt, sondern weil sie uns zu der Entdeckung führt, dass wir, jeder von uns und in jedem Augenblick, in der Lage wären, solche Eseleien von uns zu geben. Wir sind ständig drauf und dran, eine Dummheit zu sagen. So wie dieser Satz, den ich Ihnen hier zitiere und der immerhin von Chateaubriand stammt. Er spricht von Napoleon, den er nicht leiden konnte, und schreibt: »Er ist in der Tat ein großer Schlachtengewinner, aber abgesehen davon ist der kleinste General geschickter als er.«
     
    J.-P. DE T.: Können Sie diese Leidenschaft, die Sie beide für das hegen, was von den Grenzen des Menschlichen, seiner Unvollkommenheit zeugt, genauer umreißen? Ist das bei Ihnen ein versteckter Ausdruck von Mitleid?
     
    J.-C. C.: In einem bestimmten Augenblick meines Lebens, so um die dreißig, nachdem ich mein Studium abgeschlossen und dabei auch die klassische Griechisch- und Lateinausbildung durchlaufen hatte, kam es zu einer entscheidenden Wende. Ich war 1959–1960 Soldat im Algerienkrieg – und dort habe ich mit einem Schlag die völlige Nutzlosigkeit, ich würde fast sagen Nichtigkeit dessen entdeckt, was man mir beigebracht hatte. Ich las damals Texte über die Kolonisierung, Texte von einer derartigen Dummheit und Roheit, von der ich gar keinen Begriff hatte, Texte, die mir noch nie jemand gezeigt hatte. Es begann sich abzuzeichnen, dass ich gern die allzu ausgetretenen Pfade verlassen würde, um die umliegenden Gebiete zu entdecken, Brachland, Buschwerk, sogar Sümpfe. Guy Bechtel hatte denselben Weg hinter sich wie ich, wir

Weitere Kostenlose Bücher