Die große Zukunft des Buches
Nazismus zurück. Es ist etwas Bemerkenswertes in seinem Kreuzzug gegen die Bücher. Die Leitlinien der Nazi-Kulturpolitik legte Goebbels fest, der die neuen Mittel der Informationspolitik perfekt beherrschte und die Vorstellung hatte, dass das Radio das bevorzugte Medium jeder Kommunikation werden würde. Die Kommunikation durch Bücher mit der Kommunikation durch Medien bekämpfen … prophetisch.
J.-C. C.: Wie kommt man von den verbrannten Büchern der Nazis zur kleinen roten Maofibel und zu diesem Eifer, der ein paar Jahre lang ein Volk von einer Milliarde Menschen erfasst hat?
U. E.: Die geniale Idee Maos war zunächst, das kleine Rote Buch zu einer Art Fähnchen zu machen, das man nur zu schwenken brauchte. Nicht nötig, es zu lesen. Oder besser, da er wusste, dass heilige Texte nicht von der ersten bis zur letzten Seite gelesen werden, machte er unsystematisch Auszüge daraus, gab Aphorismen, die man auswendig lernen und wie Mantras oder Litaneien aufsagen konnte.
J.-C. C.: Aber wie konnte es so weit kommen, zu dieser scheinbar dummen Besessenheit eines ganzen Volkes, das ein rotes Büchlein schwenkt? Warum stellte ein solches marxistisch-kollektivistisches Regime das Buch über alles?
U. E.: Wir haben nichts Näheres über die Kulturrevolution erfahren und über die Art, wie die Massen manipuliert wurden. 1971 arbeitete ich an einem Band über chinesische Comics mit. Ein Journalist, der sich in China aufhielt, hatte angefangen, Material zusammenzutragen, das uns völlig unbekannt war. Es handelte sich um Comics, die den englischen Stil nachahmten, aber auch Fotoromane. Diese Werke, die aus der Zeit der Kulturrevolution stammten, ließen in keiner Weise erahnen, was damals in China vor sich ging. Im Gegenteil, sie waren pazifistisch und gegen jede Form von Gewalt, für Toleranz und gegenseitiges Verständnis eingestellt. Dasselbe geschah mit dem Roten Büchlein, das folglich als ein Symbol der Gewaltlosigkeit erschien. Natürlich sagte niemand, dass die Verherrlichung dieses Buches das Verschwinden aller anderen bedeutete.
J.-C. C.: Ich war während der Dreharbeiten zu Bertoluccis Der letzte Kaiser in China. Ich drehte gleichzeitig drei Dokumentarfilme. Einen über den Film selbst, einen anderen im Auftrag der Cahiers du Cinéma über die Renaissance des chinesischen Films, und einen dritten im Auftrag einer französischen Musikzeitschrift über die Wiederentdeckung der Instrumente der traditionellen chinesischen Musik. Meine denkwürdigste Begegnung war die mit dem Direktor des Instituts für traditionelle Musikinstrumente. Ich habe ihn befragt, um zu erfahren, wie es geschah, dass das Musizieren auf diesen Instrumenten während der Kulturrevolution aufgegeben wurde. Es war gerade möglich, halbwegs frei zu reden. Er erzählte mir, dass man zuerst das Institut geschlossen und die Bibliothek zerstört habe. Womöglich unter Lebensgefahr ist es ihm gelungen, einige Werke zu retten und an Verwandte in der Provinz zu schicken. Er selbst wurdestrafversetzt in ein Dorf, wo er als Bauer arbeiten sollte. All jene, die besondere Fähigkeiten oder spezielle Kenntnisse besaßen, mussten ausgeschaltet werden. Das war der eigentliche Grundsatz der Revolution: Alles Wissen birgt Macht, also muss man das Wissen loswerden.
Dieser Mann kam in eine Dorfgemeinschaft von Bauern, die sofort bemerkten, dass er mit Hacke und Spaten nicht umgehen konnte. Sie boten ihm an, zu Hause zu bleiben. Und dieser Mann, der größte Spezialist für traditionelle chinesische Musik, sagte mir: »Ich habe neun Jahre lang Domino gespielt.«
Wir sprechen hier nicht von den Spaniern in Amerika vor vier oder fünf Jahrhunderten, und auch nicht von den Massakern, die die Christen auf ihren Kreuzzügen verübten. Nein. Wir sprechen von dem, was wir zu unseren Lebzeiten mitbekommen haben. Und das Schlimmste liegt nicht unbedingt hinter uns. In seiner Historia Universal de la destrucción de libros (Universalgeschichte der Bücherzerstörung) kommt Fernando Baez auf die Zerstörung der Bibliothek von Bagdad zu sprechen, die im Jahr 2003 stattfand. Das ist im Übrigen nicht das erste Mal, dass die Bibliothek von Bagdad zerstört wurde. Schon die Mongolen hatten sich da versucht. Das sind Gebiete, die zu wiederholten Malen besetzt und mehrmals geplündert wurden, wo aber doch immer wieder neues Leben aufkeimt. Im 10., 11. und 12. Jahrhundert war die islamische Kultur unbestreitbar die glänzendste. Doch sie sah sich sogleich von
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