Die große Zukunft des Buches
zwei Seiten attackiert. Durch die christlichen Kreuzfahrer und die in Spanien einsetzende Reconquista einerseits, und durch die Mongolen auf der anderen Seite, die Bagdad im 13. Jahrhundert einnahmen und dem Erdboden gleichmachten. Die Mongolen haben, wir sagten es bereits, blindwütig zerstört, aber die Christen warenauch nicht viel respektvoller. Baez berichtet, dass sie während ihres Aufenthalts im Heiligen Land etwa drei Millionen Bücher vernichtet haben.
U. E.: In der Tat wurde Jerusalem praktisch zerstört, als die Kreuzfahrer eindrangen.
J.-C. C.: Dasselbe geschah während der spanischen Reconquista Ende des 15. Jahrhunderts. Cisneros, der Berater Königin Isabellas von Kastilien, ließ sämtliche in Granada aufgefundenen moslemischen Bücher verbrennen, nur ein paar medizinische Werke wurden verschont. Baez sagt, die Hälfte der Sufi-Gedichte aus dieser Zeit seien im Feuer vernichtet worden. Wir können nicht immer behaupten, die anderen würden unsere Bücher zerstören. Wir haben selbst großen Anteil an dieser Vernichtung von Wissen und Schönheit.
Um uns in dieser Aufzählung von Katastrophen einen Augenblick Luft zu verschaffen, muss man erwähnen, dass das Buch – und das überrascht ganz und gar nicht – auch unter den Buchautoren selbst seine Feinde hat. Und zwar gar nicht so weit weg von uns. Philippe Sollers hat an die Existenz eines Aktionskomitees von Studentenautoren erinnert, im Umfeld der 1968er Bewegung, ich habe es nicht gekannt, aber es wirkt schon ziemlich komisch. Man wandte sich gegen die traditionelle Lehre (das war damals obligat) und berief sich, nicht ohne lyrische Anklänge, auf ein »neues Wissen«. Maurice Blanchot war Mitstreiter in diesem Komitee, das vor allem für das Verschwinden des Buches eintrat, welches beschuldigt wurde, das Wissen gefangenzuhalten. Die Worte sollten sich endlich vom Buch befreien, von dem Gegenstand Buch, ihm entfliehen. Um wohin zu flüchten? Das wurde nicht gesagt. Aber trotzdem schrieb man: »KeineBücher mehr! Nie mehr Bücher!« Slogans, die von Schriftstellern geschrieben und proklamiert wurden!
U. E.: Um mit den Bücherscheiterhaufen abzuschließen, müssen wir hier auf Autoren verweisen, die ihr eigenes Werk verbrennen wollten und das in manchen Fällen auch getan haben …
J.-C. C.: Diese Lust an der Zerstörung des Geschaffenen zeugt zweifellos von Triebkräften, die im tiefsten Inneren unseres Wesens verankert sind. Denken wir nur an den absurden Wunsch Kafkas, im Augenblick seines Todes sein Werk zu verbrennen. Rimbaud wollte Eine Zeit in der Hölle vernichten. Borges hat seine ersten Bücher wirklich zerstört.
U. E.: Vergil verlangte auf seinem Totenbett, dass man die Äneis verbrennen solle! Wer weiß, ob in diesen Träumen von Zerstörung nicht die archetypische Idee von der Zerstörung durch Feuer mitschwingt, das einen Neuanfang der Welt verheißen würde? Oder eher die Idee, dass ich sterbe und die Welt mit mir … Das ist der Punkt, an dem Hitler sich umbringt, nachdem er die Welt in Brand gesetzt hat.
J.-C. C.: Bei Shakespeare ruft Timon von Athen im Moment seines Todes: »Ich sterbe, Sonne, hör auf zu scheinen!« Man kann hier an den Kamikaze-Flieger denken, der einen Teil der Welt, die er ablehnt, mit sich, mit in seinen Tod reißt. Allerdings eins ist wahr: Sei es im Fall japanischer Kamikaze-Flieger, die ihr Flugzeug auf die amerikanische Flotte lenkten, oder in dem anderer Selbstmordattentäter geht doch eher um das Sterben für eine Sache. Irgendwo habe ich einmal gesagt, dass der erste Kamikaze-Kämpfer in der GeschichteSamson war. Er ließ den Tempel einstürzen, in dem er eingeschlossen war, und mit ihm wurde eine große Zahl von Philistern unter den Trümmern begraben. Das Selbstmordattentat ist Verbrechen und Strafe zugleich. Eine Zeitlang habe ich mit dem japanischen Regisseur Nagisa Oshima zusammengearbeitet. Er sagte mir, jeder Japaner kommt irgendwann im Lauf seines Lebens dem Gedanken, Selbstmord zu verüben, sehr nah.
U. E.: Da ist der Selbstmord des Jim Jones mit fast tausend Anhängern in Guyana. Da ist der Massentod der Davidianer in Waco 1993.
J.-C. C.: Man sollte gelegentlich Polyceute von Corneille wieder lesen, wo es um einen bekehrten Christen im Römischen Reich geht. Er ist bereit, das Martyrium zu erleiden, und will seine Frau Pauline mit sich nehmen. Für ihn gibt es kein höheres Los. Was für ein Hochzeitsgeschenk!
J.-P. DE T.: Wir begreifen
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