Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
Vom Netzwerk:
heute nie verlangt wurden. Kein einziges Mal. Vielleicht handelt es sich um Bücher ohne jedes Interesse, erstaunliche Werke, Gebetbücher, Wissenschaften des Ungefähren, wie Sie sie lieben, zu Recht vergessene Denker. Als es darum ging, den Grundstock der Bibliothek anzulegen, ganz am Anfang, wurden die Bücher karrenweise herbeigeschafft und wahllos im Hof der Rue de Richelieu abgeladen. Also mussten sie erfasst und katalogisiert werden, zweifellos in größter Eile. Worauf die Bücher zum Großteil in einen langen Schlaf versanken, in dem sie noch immer verharren.
    Jetzt nehme ich den Standpunkt des Schriftstellers oder Autors ein, was wir ja alle drei sind. Zu wissen, dass unsere Bücher auf einem Regal herumstehen, ohne dass jemand wirklich danach greifen will, ist keine sehr ermunternde Vorstellung. Ich denke mir, Umberto, bei Ihren Werken ist das nicht der Fall! In welchem Land haben Sie die beste Aufnahme gefunden?
     
    U. E.: Den Auflagenzahlen nach vielleicht in Deutschland. Wenn Sie in Frankreich zwei- oder dreihunderttausend Exemplare verkaufen, ist das ein Rekord. In Deutschland muss man die Million überschreiten, um beachtet zu werden. Die niedrigsten Auflagenzahlen findet man in England. Im Allgemeinen leihen die Engländer sich ihre Bücher lieber in der Bücherei aus. Was Italien angeht, nun, das muss sich unmittelbar vor Ghana einreihen. Dafür lesen die Italiener viele Magazine, mehr als die Franzosen. Immerhin war es die Presse, die ein probates Mittel gefunden hat, Nichtleser zum Buch zu führen. Wie? Das hat in Spanien stattgefunden und in Italien, in Frankreich nicht. Die Tageszeitung bietet ihren Lesern für eine sehr bescheidene Summe zusammen mit der Zeitung ein Buch oder eine DVD an. Diese Praxis ist von den Buchhändlern angeprangert worden, sie hat sich aber trotz allem durchgesetzt. Ich erinnere mich, als Der Name der Rose auf diese Weise als Gratisbeigabe zur Zeitung La Repubblica angeboten wurde, hat die Zeitung zwei Millionen Exemplare verkauft (statt der üblichen 650000), und mein Buch hat zwei Millionen Leser erreicht (und wenn man berücksichtigt, dass das Buch vielleicht die ganze Familie interessiert, sagen wir, vorsichtig geschätzt, vier Millionen).
    Das konnte nun tatsächlich für die Buchhändler alarmierend sein. Als ich aber sechs Monate später die Verkäufe des letzten Halbjahres in der Buchhandlung überprüfte, zeigte sich, dass die Beilage des Buches zur Zeitung diese nur unwesentlich verringert hatte. Dann waren diese zwei Millionen eben ganz einfach Leute, die gewöhnlich nicht in Buchhandlungen gehen. Wir hatten ein neues Publikum gewonnen.
     
    J.-P. DE T.: Sie sprechen sich beide eher recht enthusiastisch über das Lesen in unseren Gesellschaften aus. Bücher sind nicht mehr nur den Eliten vorbehalten. Und wenn sie in Konkurrenz zu anderen Datenträgern treten, die immer verführerischer und leistungsfähiger werden, halten sie dem stand und sind durch nichts zu ersetzen. Wieder einmal erweist sich das Rad als unübertrefflich .
     
    J.-C. C.: Es ist zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre her, da stieg ich eines Tages an der Station Hôtel de Ville in die Metro hinunter. Auf dem Bahnsteig stand eine Bank, und auf der saß ein Mann mit vier oder fünf Büchern um sich. Er las. Die Metrozüge fuhren vorbei. Ich betrachtete diesen Mann, der sich für nichts anderes interessierte als für seine Bücher, und ich beschloss, noch ein wenig zu bleiben. Er machte mich neugierig. Schließlich gehe ich auf ihn zu, und es entspinnt sich eine kurze Unterhaltung. Freundlich frage ich ihn, was er da macht. Er erklärt mir, dass er jeden Morgen um halb neun kommt und bis Mittag bleibt. Da geht er zum Mittagessen eine Stunde hinaus. Dann nimmt er seinen Platz wieder ein und bleibt bis achtzehn Uhr. Er schließt mit diesen Worten, die ich nie wieder vergessen habe: »Ich lese, ich habe nie etwas anderes getan.« Ich verlasse ihn, weil ich den Eindruck habe, ich stehle ihm seine Zeit.
    Warum die Metro? Weil er nicht den ganzen Tag in einem Café sitzen konnte, das konnte er sich gewiss nicht leisten. Die Metrostation war gratis, es war warm, und das Kommen und Gehen ringsum störte ihn nicht im Geringsten. Ich habe mich gefragt und frage es mich immer noch, ob es sich hier um den idealen Leser handelte oder um einen vollkommen perversen Leser.
     
    U. E.: Und was las er?
     
    J.-C. C.: Das war recht kunterbunt. Romane, Geschichtsbücher, Essays. Allem Anschein nach war das bei ihm

Weitere Kostenlose Bücher