Die große Zukunft des Buches
und meine besten Jahrgänge zunichte machen. Ich kaufe Wein en primeur . Was bedeutet, dass Sie den Wein im Jahr der Lese kaufen und ihn drei Jahre später geliefert bekommen. Das Interessante bei der Sache ist, wenn es sich zum Beispiel um einen hochwertigen Bordeaux handelt, lässt der Produzent ihn in Fässern und dann in Flaschen unter optimalen Bedingungen reifen. Während dieser dreiJahre ist Ihr Wein besser geworden und Sie haben es vermieden, ihn zu trinken. Das ist ein ausgezeichnetes System. Drei Jahre später haben Sie im Allgemeinen vergessen, dass Sie diesen Wein bestellt haben. Sie erhalten also ein Geschenk von sich an sich selbst. Das ist köstlich.
J.-P. DE T.: Müsste man dasselbe nicht auch mit Büchern machen? Sie beiseite legen, nicht unbedingt in einen Keller, aber sie reifen lassen.
J.-C. C.: Das würde jedenfalls den sehr unerfreulichen »Neuigkeitseffekt« bekämpfen, der uns zwingt, etwas zu lesen, nur weil es eine Neuheit ist, weil es soeben erschienen ist. Warum ein Buch, »über das man spricht«, nicht aufheben und drei Jahre später lesen? So verfahre ich ziemlich oft mit Filmen. Da ich nicht die Zeit habe, all die Filme zu sehen, die ich sehen müsste, hebe ich mir diejenigen, die ich vorhabe, eines Tages anzusehen, irgendwo auf. Etwas später stelle ich fest, dass bei der Mehrzahl die Lust und die Notwendigkeit, sie anzusehen, vergangen sind. In diesem Sinn ist der Kauf en primeur zweifellos an sich schon eine Filterung. Ich wähle aus, was ich in drei Jahren trinken möchte. Oder das sage ich mir zumindest.
Oder eine andere Methode. Sie können die Filterung einem Experten überlassen, der Ihren Geschmack kennt und die Auswahl für Sie übernimmt. Ich habe mich diesbezüglich jahrelang Gérard Oberlé anvertraut, der mir die Bücher signalisierte, die ich kaufen muss , wie auch immer meine Finanzlage gerade aussah. Er bestellte, ich gehorchte. Auf diese Weise habe ich bei unserer ersten Begegnung Pauliska ou de la perversité moderne, mémoires récentes d’une Polonaise erworben, einen Roman vom Ende des 18. Jahrhunderts,den ich seit damals nie mehr gesehen habe, und das ist nun schon lange her.
Es gibt eine Szene, die ich immer gern für den Film umgesetzt hätte. Ein Mann, Drucker von Beruf, findet eines Tages heraus, dass seine Frau ihn betrügt. Er hat den Beweis: ein Brief von ihrem Geliebten, den er entdeckt hat. Der Mann setzt also den Wortlaut des Briefes auf seiner Druckerpresse, zieht seine Frau nackt aus und druckt ihr den Brief auf den Körper, so tief ins Fleisch wie möglich. Der nackte, weiße Körper wird zum Papier, die Frau schreit vor Schmerz und verwandelt sich für immer in ein Buch. Das ist wie eine Vorwegnahme von Der scharlachrote Buchstabe von Hawthorne. Dieser Traum, den Liebesbrief auf den Körper der schuldigen Frau zu drucken, ist wahrhaftig die Vision eines Druckers, oder zur Not die eines Schriftstellers.
Buch auf dem Altar und Bücher in der »Hölle«
J.-P. DE T.: Wir gehen vom Buch aus und erweisen allen Büchern unsere Verehrung: denen, die verschwunden sind, denen, die wir nicht gelesen haben, denen, die wir nicht zu lesen brauchen. Eine solche Würdigung ist verständlich im Rahmen von Gesellschaften, die das Buch auf den Altar erhoben haben. Vielleicht sollten Sie jetzt etwas über unsere Buchreligionen sagen.
U. E.: Es ist wichtig festzuhalten, dass wir die drei großen monotheistischen Religionen zu Unrecht »Buchreligionen« nennen, denn auch der Buddhismus, der Hinduismus und der Konfuzianismus sind Religionen, die sich auf Bücher beziehen. Der Unterschied ist, dass im Monotheismus der Gründungstext eine besondere Bedeutung hat. Er wird verehrt, weil man davon ausgeht, dass sich etwas von Gottes Wort in ihn übertragen hat, in ihn eingegangen ist.
J.-C. C.: Für die Buchreligionen bleibt die hebräische Bibel unbestritten oberste Referenz, weil sie der älteste Text von allen ist. Der Text wurde, so glaubt man zu wissen, in der babylonischen Gefangenschaft verfasst, das heißt zwischen dem 7. und 6. Jahrhundert vor Christus. Wir müssten unsere Überlegungen hier durch die Kommentare von Spezialisten stützen. Trotzdem so viel: In der Bibel heißt es: »Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott.« Aber wie wird das Wort zur Schrift? Warum findet das Wort seine Darstellung und Verkörperung ausgerechnet im Buch? Wieund mit welchen Garantien hat sich der Übergang vom einen zum anderen vollzogen? In der Tat
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