Die großen Vier
Pierre Combeau. Dann, während er vom Personal zur Rede gestellt wird, eine große Szene macht und alle Fahrgäste interessiert herumstehen, werden wir beide uns heimlich, still und leise aus dem Staube machen.»
Wir führten Poirots Plan wie verabredet aus. Pierre Combeau, ein alter Freund von Poirot, der dessen kleine Eigenarten zur Genüge kannte, traf die notwendigen Vorkehrungen. Die Notbremse wurde betätigt, als wir die letzten Vorstädte von Paris passierten. Combeau inszenierte alles in der üblichen erregten Art, die den Franzosen eigen ist, während Poirot und ich den Zug verließen, ohne von irgendjemand beobachtet zu werden. Unsere nächste Aufgabe bestand darin, uns ein vollständig verändertes Aussehen zuzulegen. Poirot hatte wiederum vorgesorgt und trug alles in einer kleinen Tasche bei sich. Wir aßen in einem bescheidenen kleinen Restaurant zu Abend und machten uns danach auf den Rückweg nach Paris. Es war kurz vor elf Uhr, als wir in die Nähe von Madame Oliviers Villa gelangten. Zuerst beobachteten wir sorgfältig die ganze Straße, bevor wir in den kleinen Gartenweg schlüpften. Die Umgebung schien vollkommen menschenleer. Eines war sicher: Niemand war uns gefolgt.
«Um diese Zeit erwarte ich sie noch nicht», flüsterte Poirot, «möglicherweise kommen sie gar nicht vor morgen Nacht. Sie wissen, dass nur zwei Nächte verbleiben, in denen das Radium noch greifbar ist.»
Wir benutzten den Schlüssel zum Gartentor mit äußerster Vorsicht, es öffnete sich lautlos, und wir schlüpften in den Garten. Doch gleich danach geschah etwas vollkommen Unerwartetes: Innerhalb einer Minute waren wir umzingelt, gebunden und geknebelt. Mindestens zehn Männer mussten uns überwältigt haben. Jeglicher Widerstand wäre nutzlos gewesen, und wie zwei hilflose Bündel wurden wir aufgehoben und fortgetragen. Zu meinem größten Erstaunen trug man uns zum Hause hin, und nicht in entgegengesetzter Richtung. Mit einem Schlüssel wurde das Laboratorium geöffnet, und wir wurden hineingetragen. Einer der Männer machte sich vor dem großen Safe zu schaffen, und die Tür sprang auf. Ein unangenehmer Gedanke durchzuckte mich; wollten sie uns darin verbergen und langsam ersticken lassen? Jedoch zu meiner größten Überraschung bemerkte ich, dass innerhalb des Safes einige Stufen zu darunter liegenden Räumen führten. Wir wurden die enge Treppe hinuntergeworfen und befanden uns endlich in einer unterirdischen Kammer. Eine Frau stand vor uns, groß und imposant, mit einer schwarzen Samtmaske vor dem Gesicht. Sie war offenbar die Anführerin und ließ durch ihre Gesten ihre Autorität erkennen.
Die Männer warfen uns auf den Boden und entfernten sich – wir waren allein mit der geheimnisvollen Frau. Es konnte gar kein Zweifel über die Identität bestehen: sie musste die unbekannte Französin sein – Nummer drei.
Sie kniete neben uns nieder und entfernte die Knebel, doch ließ sie die Fesseln unberührt. Dann erhob sie sich, sah uns an, und mit einer blitzschnellen Bewegung entfernte sie ihre Maske.
Es war Madame Olivier!
«Monsieur Poirot», sagte sie in höhnischem Tone. «Der große, der berühmte und einzigartige Monsieur Poirot! Ich habe Sie bereits gestern Morgen warnen lassen. Sie entschlossen sich, meine Warnungen zu missachten – Sie waren der Meinung, sich uns entgegenstellen zu müssen. Und nun sind Sie in meiner Hand!» Eine kalte Feindseligkeit strömte von ihr aus, die mir durch Mark und Bein ging. Sie stand in krassem Gegensatz zu dem tiefen Feuer ihrer Augen. Sie musste wahnsinnig sein – in höchstem Grade von genialem Wahnsinn befallen.
Poirot enthielt sich jeder Äußerung. Sein Kinn war herabgesunken, und er starrte sie unverwandt an.
«Nun», fuhr sie fort, «dies ist das Ende. Wir können es nicht zulassen, dass man unsere Pläne durchkreuzt. Haben Sie noch einen Wunsch?»
Noch nie hatte ich mich dem Tode so nahe gefühlt.
Poirot verhielt sich großartig, er zeigte weder Verwirrung noch Erbleichen, sondern starrte sie nur unablässig mit unvermindertem Interesse an.
«Ihre Psychologie interessiert mich ganz außerordentlich, Madame», bemerkte er mit vollkommener Ruhe. «Es ist nur schade, dass mir nur noch so kurze Zeit zur Verfügung steht, um sie studieren zu können. Ja, wenn Sie mich schon danach fragen, so habe ich ein Anliegen. Soweit mir bekannt ist, hat ein Verurteilter das Recht, wenigstens noch eine Zigarette zu rauchen. Ich habe mein Zigarettenetui bei mir, wenn Sie mir
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