Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
glamouröse Fremde aus einer anderen Welt als der, in der sie selbst lebte. Aber sie nahm das Glas Champagner, das Thomas ihr reichte, lächelte ihn an und beschloß, die Lichter und die Musik zu genießen. Wir brauchen alle ein paar Stunden Schutz vor dem Sturm.
Sophie mußte in der Küche aufräumen und den Lunch für Greta machen, weil Anna-Karin und Ulla von der ambulanten Altenbetreuung mit nach Tallinn gereist waren und erst am Mittwoch zurückkommen würden.
– Es ist so gut, daß diese Mädchen einmal so etwasmachen können, sagte Greta, ich hoffe, sie haben richtig Spaß.
Nach dem Lunch nahm Sophie Greta mit auf einen Spaziergang zum Friedhof. Die neue Medikation war wirklich viel besser, und die Bischöfin wirkte ungewöhnlich munter. Martine hatte am Abend angerufen und erzählt, daß der Mord an Birgitta Matsson aufgeklärt war, und die Morgenzeitungen hatten die Nachricht auch gebracht. Greta, die geschlafen hatte, als Martine anrief, hatte vor Erleichterung Tränen in den Augen, als ihr klargeworden war, daß nicht Istvan alias Stéphane Berger der Mörder war.
– Ich soll dich grüßen, sagte Sophie, von Istvan, durch Martine. Sie saßen gestern eingesperrt zusammen in einem Raum, während der Mörder draußen herumstrich, und Istvan hat offenbar das eine oder andere erzählt.
Sie war unschlüssig gewesen, ob sie den Gruß ausrichten sollte oder ob es ihre Großmutter zu sehr aufregen würde, aber warum sollte es das?
– Also denkt er jedenfalls manchmal an uns, sagte Greta, ich fürchte, daß mich das irgendwie trotz allem freut.
Sie waren ans Familiengrab gekommen, wo der Bischof und sein Sohn ruhten, und blieben vor dem roten Granitstein stehen.
– Aber ich muß sagen, daß mich mein Gewissen belastet, fuhr sie fort, ich werde den Gedanken nicht los, daß Birgitta noch am Leben wäre, wenn ich nicht in all diesen Jahren über Istvan geschwiegen hätte. Ich wollte ihm so gern eine Chance geben, ich fand, daß er das verdient hatte, nach allem, was er durchgemacht hatte. Aber es ist nie gut, die Wahrheit zu verschweigen.
Sie hatten eine späte Rose gefunden, die einsam vor der Südwand des Pfarrhofs geglüht hatte, und sie zum Friedhofmitgenommen. Die Bischöfin legte sie vorsichtig auf das Grab ihres Mannes und ihres Sohnes.
– Erinnerst du dich an den Choral, den Aron so sehr mochte, sagte sie, »Schnell jagt der Sturm unsere Jahre«? Kannst du ihn mir vorsingen, Sophie?
Sophie nahm die Hand ihrer Großmutter und füllte die Lungen. Ihre Altstimme war klein, aber tonsicher, und auf dem stillen Friedhof klang sie ungewöhnlich stark, als sie Karlfeldts Choral sang.
»Schnell jagt der Sturm unsere Jahre
Wie Wolken übers Meer
Kaum fing es an, das Wunderbare,
verbleicht der Glanz schon sehr.
Dein Sommerblühen ist entschwunden,
hab Dank nun, daß du gabst
die Rose, die du noch gefunden,
zu legen auf ein Grab.«
Er hatte das Auto in einem Gehölz geparkt. Oben auf dem Hügel würde es zu sichtbar sein. Nicht daß das eine größere Rolle gespielt hätte, das Auto war sowieso nicht seines, und es war nicht als gestohlen gemeldet. Zumindest hoffte er das. Es war dunkel gewesen, als er in der Nacht zum Montag zur Villa gekommen war, um die Bilder und das Papier mit Morels Namenszug zu holen. Er hatte vorgehabt, es der Untersuchungsrichterin zu schicken, zusammen mit einem Brief, in dem er Morel als den Mörder bezeichnete. Zu seinem Erstaunen hatte er gesehen, daß hinter ein paar Fenstern Licht war, und im Haus hatte er in dem blauen Gästezimmer seinen Gärtner mit seiner Freundin im Bett überrascht. Fabrice war rotebeterot und voller Entschuldigungen gewesen, aber ihn selbst hatte es vor allem amüsiert.Außerdem hatte er schnell erkannt, daß er die Situation ausnutzen konnte. Er hatte dem Gärtner ein dickes Bündel Scheine für seinen alten Renault angeboten und später noch einmal soviel, wenn er niemandem erzählte, wo das Auto geblieben war. Fabrice hatte gezögert, aber die Freundin, Camille, hatte ein Funkeln in den Augen bekommen, das ihm sagte, daß ihr Geld viel bedeutete. Er kannte diesen Blick. Camille war eine Seelenverwandte, ein Pirat wie er selbst. Sie hatte Fabrice überredet, und er hatte bezahlt und das Auto weggefahren, zum Glück bevor die Polizisten kamen, um die Hausdurchsuchung durchzuführen. Sein eigener BMW stand ordentlich in der Garage, wo er hingehörte.
Er nahm das leichte Fahrrad heraus, das er ins Auto geladen hatte, und fuhr los. Er strampelte im
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