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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Nadel benutzt hat«, fiel Recroche ein.
    »Nicht zu vergessen die Schere«, fügte Alizon spitz hinzu.
    »… so bezahle ich dafür.«
    »Das wären zwei Sols«, sprach Meister Recroche mit gänzlich bescheidener Miene und gesenktem Blick.
    »Was!« zischte Alizon wie ein Schlangentier, »was! Zwei Sols für zehn Minuten meiner Arbeit, wo Ihr mir drei Sols und zehn Heller für den ganzen Tag zahlt?«
    »Dumme Gans!« entgegnete Meister Recroche mit unendlicher Verachtung, »der Lohn für deine Arbeit und der Macherlohn, welchen ich berechne, können doch nicht gleich sein. Wo bliebe sonst der Gewinn? Dies ist im übrigen«, fuhr er fort, indem er mir das Wams aus der Hand nahm, »eine über alle Maßen kunstvolle Flickarbeit, ausgeführt mit den zierlichsten Stichelchen, ein höchst seltenes kleines Meisterstück meiner Werkstatt …«
    »Hoho! Meister Recroche«, sprach ich halb lachend, halb im Grimm, wobei ich mein Wams wieder an mich nahm, »sprecht nicht weiter! Sonst werdet Ihr den Preis von zwei Sols noch erhöhen! Kein Wort mehr! Hier sind sie, Eure beiden Sols! Und Dank sei Euch für den Faden, die Nadel, die Schere, den Hocker und auch für Alizons ganz wunderbarliche Geschicklichkeit.«
    Worauf Alizon vor Lachen losplatzte und selbst Baragran lächelte, so ängstlich bestrebt er auch war, sich die Gunst seines Herrn zu erhalten, damit er nicht durch ein Frauenzimmer für drei Sols und zehn Heller ersetzt werde.
    »Nun denn! Wieder ans Werk!« sprach Recroche, dessen Laune sich besänftigt hatte, seit meine zwei Sols ihm den Beutel wärmten. »Monsieur de Siorac«, fuhr er fort, »Ihr müßt nicht glauben, daß in meinen Werken und Geschäften alles zu meinem Gewinn ausschlägt. Ich, Recroche, habe im Vorzimmer der Baronin von Tourelles drei geschlagene Stunden gewartet, um ihr die Hauben einzuhändigen, welche unbedingt bis Tagesanbruch fertig sein sollten. Drei volle lange Stunden! Während die Baronin schlief! Ihr habt recht gehört! Sie schlief! Und schläft alljetzt noch immer, wie ich wetten will!«
    In diesem Augenblick klopfte es an der Türe. Auf ein Zeichen des Meisters hin öffnete Coquillon, und ein aufgeblasener Kerl von einem Diener, welcher sich in seiner goldbetreßten amarantroten Livree wie ein Gockel spreizte, erschien auf der Schwelle und fragte hochmütigen Tones und mit gezierter Miene, ob Meister Recroche da sei.
    »Er ist da«, antwortete Recroche, so liebenswürdig wie die Eisenbänder auf seiner Werkstattür.
    »Meine Herrin«, sprach der Diener dünkelhaft und sog verächtlich die Luft ein, »meine Herrin, die Baronin von Tourelles, wünscht Euch einen Besuch abzustatten.«
    »Sie ist willkommen«, antwortete Recroche in schroffem Ton. Worauf er, die Hände auf dem Rücken, die Augen auf die Zimmerdecke richtete, da er, wie ich wohl bemerkte, das eitle Gehabe des Dieners nur schwer zu ertragen vermochte, welcher uns einen nach dem anderen anblickte, als wären wir kleine Kothäufchen am Rande eines Weges, und dabei die Luft so verächtlich durch die Nase einsog, als wäre sie durch unseren Atem verdorben.
    »Ich werde«, so sprach er widerstrebend, »dies unverzüglich meiner Herrin vermelden.«
    Und begab sich hinaus. Vom Diener auf die Herrin schließend, mutmaßte ich das Schlimmste bezüglich der Baronin, und in meiner Einbildung sah ich sie schon als Megäre bar jeglicher Liebenswürdigkeit vor mir. Oh, Leser, welch ein Irrtum! Ich hatte gar nicht genug Augen, sie zu verschlingen, da sieeintrat, über alle Maßen schön anzusehen in ihrer Vertugade von blaßgrünem Satin, einem Reifrock – wie ich später von Alizon erfuhr – nach dem Beispiele derer von Prinzessin Margot, welchselbe die weitesten Röcke im Königreiche (ihre Trägerinnen paßten kaum noch durch eine Tür) an Umfang übertrafen. Aus einer dergestalt gebauschten Stoff-Fülle stieg ihre über die Maßen schmale Taille auf, zusammengepreßt von dem harten Schnürleib des Schoßmieders, das sich nach oben gleich einem Trichter erweiterte und so die Brüste hob und voller erscheinen ließ, welche rund und üppig, bis auf die Spitzen entblößt, im Ausschnitt sichtbar wurden. Über diesen beiden Anmutigkeiten umgab ein weiter Kragen aus allerfeinster Spitze – gestärkt und hinten hochgestellt gleich einem Pfauenrad, auch mit Perlen von makellosem Glanze besetzt – den langen grazilen Hals, um den sich eine dreireihige Kette aus ebensolchen Perlen schlang, ich will gar nicht reden von ihrem Haar, dessen

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