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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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einzelne Flechten, darin viele Demanten, Smaragden, güldene Kämme und Ziernadeln steckten, sich so hoch auftürmten, daß man sich fragte, wie ein solcher Turmbau auf diesem zierlichen Kopf Halt fand.
    Und dann das Angesicht! Wie hübsch und liebreizend! Und nicht ohne Ähnlichkeit mit der Heiligen Jungfrau, welche ich in Notre-Dame geschaut: eine zierliche Stupsnase, Kirschmund, die Augen tiefschwarz. Doch die Heilige Jungfrau war aus Marmorstein, diese hier aber so lebendig, so munter, so lebhaft, daß man immerfort an ein artiges kleines Vögelein erinnert ward, welches, das Schnäblein bald hierhin, bald dahin drehend, von Zweig zu Zweig hüpft.
    Dieser Schönen folgte eine hübsche, stattliche Kammerjungfer (mit welchselbiger Miroul sogleich fleißig zu äugeln begann), die ihren Beutel, ihr Riechfläschchen, ihr Taschentuch und ihre Maske trug; des weiteren ein kleiner Page mit einem Fächer sowie ein Riesenkerl von Stallknecht, welcher an einem Strick eine Holzbohle hinter sich herzog, die er – wie ich später sah – auf das kotige Straßenpflaster legte, damit sich seine Herrin nicht die hübschen Schuhe beschmutzte, wenn sie aus ihrer Kutsche stieg, welche Schuhe güldene Schnallen und gar hohe Absätze aufwiesen, wie man bemerken konnte, wenn sie im schwindelerregenden Schwingen der weiten Vertugade flüchtig zu sehen waren. Solcherart erhöht an dem einen Endedurch die hohen Hacken und an dem anderen um gut drei Zoll durch ihren majestätischen Kopfputz, übertraf mich die Baronin von Tourelles an Größe wie an Umfang, wobei sie in der Leibesmitte so dünn, oben und unten so breit war, daß sie an eine Sanduhr erinnerte.
    »Oh, Meister Recroche!« rief sie in einer so schnellen und geschwinden Art, daß die Worte auf das Trommelfell prasselten wie Gewitterregen auf das Dach, »wie sehr muß ich Euch um Vergebung bitten, daß ich im Bett verweilt, indes Ihr in meinem Vorzimmer wartetet, mir meine Hauben zu bringen!
Bei meinem Gewissen!
Doch gestern abend ist es spät geworden. Ich habe so viel und trefflich gespeist! In so possierlicher Gesellschaft!
Oh, Recroche, ich könnte vergehen!
Recroche, Recroche, die Häubchen! Flugs! Unverweilt! Ohne Säumen!«
    »Ohne Säumen, Frau Baronin!« entgegnete Recroche mit einer tiefen Verbeugung, in welche er – wie ich zu sehen vermeinte – einige heimliche Verachtung legte, denn er gehörte zu den Pariser Händlern, die weder Edelleute noch Fürsten lieben und nichts und niemanden höher schätzen als sich selbst. »Säu men , Madame! Habe ich nicht drei volle Stunden in Euerm Vorzimmer säumen müssen? Währenddessen meine Werkstatt stillstand, meine Gesellen unbeschäftigt blieben und meine Kundschaft unbedient! Ha, Madame! Das Säumen kostet Euch zehn Sols mehr!«
    »Was macht das schon!« rief Madame des Tourelles. »Re croche , die Hauben! Sofort! Oh!« fügte sie hinzu, »ich ersticke! Wie heiß es ist in diesem August!
Ich könnte vergehen! «
    Und indem sie beide Hände auf ihre dünne Taille legte, als wolle sie das Schoßmieder lockern, welches ihr die Brust abdrückte, schrie sie halb ohnmächtig:
    »Corinne, mein Riechfläschchen! Nicotin, meinen Fächer!«
    Nachdem sie an ersterem gerochen und sich mit zweiterem
    Luft zugefächelt, lebte sie wieder auf, und da auch Recroche die Hauben ausgepackt, probierte sie diese eine nach der anderen auf ihrem kunstvoll aufgetürmten Haar, wobei ihr Alizon mit saurem Gesicht den Spiegel vorhielt. Und ich überlasse es dem geneigten Leser, sich die Ausrufe, die kleinen Aufschreie, das kokette Mienenspiel, das Recken und Strecken der Brust, das anmutige Drehen und Wenden des Halses, die vielen
Ich könnte vergehen!
vorzustellen, davon diese Anprobe begleitetward. Als die Baronin endlich fertig war und von Corinne ihren Beutel gefordert, Recroche zu bezahlen, flüsterte sie diesem einige Worte ins Ohr, welche ich nicht verstehen konnte, deren Sinn mir aber deutlich wurde, als der Meister sich mit zuckersüßer Miene mir zuwandte und sprach:
    »Monsieur de Siorac, die Frau Baronin bittet um das Vergnügen, Eure Bekanntschaft zu machen.«
    »Madame«, sprach ich, vor sie hintretend, »ich bin höchstlich entzückt sowohl von Eurer Person als auch von Eurer so großen und liebreichen Güte.«
    Unter diesen Worten küßte ich ihr nicht die Hand, sondern die Fingerspitzen, wie es mich Madame Joyeuse gelehrt, welche mich in diesen Dingen zur Mäßigung angehalten: »Mein Liebling, küsset den Damen nicht die Hand, als

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