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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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ist ein Wunder, daß Ihr noch am Leben seid! Ein Pferd von einem einzigen Diener bewachen zu lassen! Was denkt Ihr! In Paris, allwo es mehr Gauner gibt als Läuse auf dem Kopf eines Mönches! Heilige Jungfrau! Die würden doch gar die königliche Karosse mit dem König darin stehlen, wenn die Schweizergarde sie nicht davon abhielte!«
    »Alizon«, sprach ich, »du handhabst die Nadel aufs allertrefflichste. Doch wird man die geflickte Stelle auch nicht sehen?«
    »Was das angeht«, entgegnete Alizon, indem sie den Oberkörper aufrichtete und die Schultern zurücknahm, sei es, den Rücken zu entlasten, sei es, ihre Brüste hervortreten zu lassen (oder beides), »was das angeht, Monsieur, so wird sie weniger ins Auge fallen als das Gemächt am Leibe des Mannes, doch gewißlich mehr als eine ausgezupfte und nachgezogene Augenbraue. Kein Kleidungsstück läßt sich flicken, ohne daß Spuren bleiben, insonderheit wenn es aus Seide gemacht. Dies Wams taugt noch, um alltags getragen zu werden, nicht aber für einen Besuch im Schlosse des Königs, wenn Ihr das im Sinne habt. Dafür müßtet Ihr Euch ein neues verfertigen lassen, edler Herr, um so mehr …«
    »Um so mehr?« fragte ich, da sie in ihrer Rede nicht fortfuhr.
    »Oh, Monsieur!« entgegnete sie mit einem liebreichen Blick ihrer schwarzen Augen, »ich will Euch nicht kränken, zumal Ihr Euch höchst liebenswürdig zeigt, aber dies Wams, welches ich Euch ausbessere, entspricht nicht mehr der gängigen Mode. In Paris trägt man das Wams jetzt breiter geschnitten in den Schultern, weit genug, eine Tasche unter der Achsel anzubringen. Auch endigt das Vorderteil unten in einer Spitze über der Schamkapsel und ist ausgestopft, den Bauch dicker erscheinen zu lassen, und Ihr seid ja recht schlank. Der Herzog von Anjou hat dies aufgebracht, da er vermeinet, ein dicker Bauch verleihe der Gestalt des Mannes Adel und Würde.«
    »Ein neues Wams, Alizon!« rief ich erschreckt. »Das sagst du so einfach! Doch Samson als unser Säckelmeister wird das Geld dazu nie herausgeben! Und mit dem wenigen Gold, was mir geblieben, kann ich mir keines machen lassen.«
    Worauf sie mir einen vielsagenden Blick zuwarf, dann noch einen und noch einen, ohne dabei ihre flinke Nadel auch nur im geringsten zu verlangsamen, indes ich mich wieder und wieder darob verwunderte, wie dunkel die Haut, das Haar und die Augen dieser prächtigen Jungfer waren, wie schlank und rank ihr Leib, wie zierlich die Taille, welche zwei Hände zu umfassen vermochten, wie grazil die kleinen Füße.
    »Oh, Monsieur!« sprach sie schließlich, »es ist Jammer und Schade! Wäre ich eine edle und hochgeborene Dame, welche ohne Sorgen im Wohlstand lebt, dann gäbe ich Euch Geld genug, auf daß Ihr in Euern Kleidern ebenso schön sein möget wie ohne diese.«
    Ich öffnete gerade den Mund, ihr für dieses artige Kompliment zu danken, da öffnete sich die Werkstattür, und Meister Recroche trat ein, einen Packen in der Hand, über und über mit Straßenschmutz bedeckt und höchst übel gelaunt.
    »Baba!« schrie er mit finsterer Miene und schriller Stimme, »was geht hier vor, wenn der Meister nicht da ist? Man schläft! Man schwätzt! Heda, Baragran! Coquillon! Auf, auf!« fuhr er sie an und stieß sie dabei unsanft mit dem Fuß in den Rücken. »Man faulenzt, wie ich sehe, und schläft am hellerlichten Tag!«
    »Wie Ihr des Nachts«, sprach Alizon, »indes wir Arbeit tun!«
    »Jetzt ist es aber genug!« schrie Recroche, wobei sein Spinnenarm vorschnellte, als wolle er sie ohrfeigen. Doch Alizon ergriff unversehens die Schere und hielt sich diese vors Gesicht,indes ihre Augen Funken und Feuer sprühten, so daß Recroche beide Hände hinter dem Rücken verschränkte und sprach:
    »Was ist denn das? Werden hier jetzt Wämser verfertigt?«
    »Nur eine kleine Flickarbeit«, erwiderte Alizon, »welche auch schon beendet ist! Da habt Ihr Euer Wams wieder, Monsieur de Siorac!«
    »Was!« schrie Recroche, mit dem rechten Zeigefinger seine Geiernase reibend, »in meiner Werkstatt wird für einen anderen gearbeitet! Während der Zeit, die mir gehört! Solches ist höchst unredlich und wider alle Zunftregeln!«
    »Ach, die Zunftregeln!« schrie Alizon, »da sieht man wieder, daß sie nur für Euch und Euresgleichen gemacht sind!«
    »Meister Recroche«, sprach ich da, »ich habe Alizon um diese Arbeit ersucht. Und da sie selbige in Eurer Werkstatt getan, während der Zeit, welche Euch gehört …«
    »Und auch meinen Faden und meine

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