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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Sorbonne sich nicht damit begnügten, Euer Buch zu verurteilen,sondern den König ersucht haben, dessen Verfasser dem Scheiterhaufen auszuliefern!«
    »Potz Blitz!« rief ich, »den Scheiterhaufen für ein paar Schmähworte gegen Aristoteles!«
    »Habe ich nicht gesagt, daß sie ihn zum Gott erheben?« erwiderte Ramus mit grimmigem Gesicht.
    »Leider«, fügte Ambroise Paré hinzu, dabei in seinem langsamen, unermüdlichen Kauen einhaltend, »liegen die Dinge in diesem Jahrhundert so, daß wir in allen Künsten gar schwer unter der übermäßigen Geltung der Gelehrten des Altertums leiden. Das ist mit Euerm Aristoteles in der Philosophie nicht anders als mit Hippokrates und Galenus in der Medizin. Sobald ein kleiner Kathedergelehrter sie zitiert, bleibt einem nichts anderes, als auf die Knie zu fallen und die Hände zu falten. In diesem Jahrhundert ist alles auf teuflische Weise religiös, nicht nur der Bereich der Religion, wo dies allein gerechtfertigt ist.«
    »Die Autorität!« rief Ramus, und unversehens sprühte Feuer aus seinen braunen Augen, »die höchste Autorität, die dem Altertum zugemessen wird, das ist die Wurzel des Übels!«
    »Wollt Ihr sie denn völlig zerstören?« fragte Pierre de l’Etoile ziemlich erschreckt.
    »Keineswegs«, entgegnete Ramus, »sondern sie an den ihr gebührenden Platz stellen, welcher nicht der erste ist. Keine Autorität«, fuhr er mit Nachdruck fort, sein kräftiges Kinn streitbar hervorreckend, »keine Autorität darf über der Vernunft stehen, denn einzig die Vernunft kann Königin und Meisterin der Autorität sein.«
    »Wenn man Euch folgte«, sprach da Pierre de l’Etoile, welcher von Bedenken, Furcht und Zweifeln geplagt schien, »wel che Umwälzungen gäbe es dann in allen Bereichen des Denkens! Was vermeinet Ihr, Paré?«
    Ambroise Paré schluckte endlich den zu Brei zerkauten Bissen hinab, führte seinen Becher zum Mund und trank mit spitzen Lippen einen kleinen vorsichtigen Schluck, als argwöhne er, sein Wein sei mit Arsenik vermischt. Worauf er mit seiner tiefen Stimme, so ruhig und gesetzt, wie die von Ramus hitzig war, sprach:
    »Die Gelehrten des Altertums haben – zumindest in meiner Wissenschaft – vortreffliche Dinge gesagt, doch es geht nichtan, auf ihren Lorbeeren auszuruhen wie der Lüstling nach gehabtem Vergnügen auf seiner Dirne. Die Alten haben nicht den Stein der Weisen gefunden. Ich würde sagen, sie haben gleichsam auf den Mauern einer Burg Ausgucke errichtet, von denen aus unser Blick heute weiter reicht als der ihrige.«
    Das Herz schlug mir höher, da ich diesen Gedanken vernahm, denn er schien mir der Erkenntnis des Menschen in wunderbarer Weise schier unbegrenzte Weiten zu eröffnen. Jedoch entging mir nicht, daß Pierre de l’Etoile sich auf seinem Stuhl hin und her wand, als schrecke ihn die Neuheit und Kühnheit der von Paré und Ramus geäußerten Gedanken.
    »Wie dem auch sei«, sprach er dann, als wolle er das Gespräch auf einen anderen Gegenstand lenken, »es gibt eine Dirne, auf der die Pariser Lüstlinge nicht mehr ausruhen werden. Die schöne Frau Gerichtsdienerin ist tot, wie ich gestern zu Tagesende erfuhr.«
    »Was!« rief Monsieur de la Ramée, »die schöne Frau Gerichtsdienerin? Sie war doch noch sehr jung!«
    »Und von einer Lebenskraft, daß sie hundert Jahre alt hätte werden können«, fügte Paré hinzu. »Ich habe sie im vergangenen Jahr behandelt. Sie war blühend und gesund. Und das Leibesinnere ebenso heil wie das Äußere schön. Woran ist die Arme denn gestorben?«
    »An einem
miserere
1 .«
    »Dagegen gibt es leider kein Mittel«, seufzte Ambroise Paré mit kummervoller Miene, als beklage er die Grenzen seiner Kunst.
    »Darf ich fragen«, ließ ich mich hören, »wer diese so bekannte Schöne war?«
    »Das Weib eines Gerichtsdieners im Palais«, antwortete l’Etoile, »welche gar sehr bekannt war unter den Parisern, ob ihrer Schönheit wie ob ihrer lüsternen Verbuhltheit. Meine Freunde«, fuhr er fort, »wünschet Ihr die witzigen Verse zu hören, welche ihr ein Richter des Palais heute morgen als Nachruf gedichtet?«
    »Aber gern«, antwortete Paré, der darauf den Bissen, welchen er mit seinen starken Zähnen so lange gekaut, sogleich hinabschluckte, um besser hören zu können.
    Monsieur de la Ramée sagte nichts, doch indes Pierre de l’Etoile ein Papier aus seinem Wams zog, lächelte er mit hochgezogenen Brauen und belustigter Miene.
    »Meine Herren«, sprach Pierre de l’Etoile, »hier der Nachruf

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