Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Gemach verleiht!«
»Oh, ja!« antwortete er, nachdem er mich herzlich umarmt, »so hell das Gemach, so düster der Bewohner.«
»Wie, Monsieur!« entgegnete ich, erstaunt ob dieses Tones, »seid Ihr bekümmert?«
»Über die Maßen. Dieses Jahr ist in vielerlei Hinsicht glücklich für mich, ward ich doch heimgesucht von etlicher Krankheit des Leibes und des Geistes, betroffen von höchsten Verlusten an meinen Gütern, überhäuft mit Geschäften und Gerichtsverfahren, verkannt von den Meinen, verachtet und geringgeschätzt von allen bis hin zu den Knechten, Dienern und Mägden … Zudem so gequält von meinen Sünden«, fügte er leise mit niedergeschlagenen Augen hinzu, »daß ich mich sowohl vor dem Tode als auch vor dem Weiterleben fürchte.«
»Oh, Monsieur!« entgegnete ich, höchstlich betroffen ob so arger und bitterer Gefühle wider sich selbst, »vergesset die schwarzen Gedanken, folget vielmehr Euern natürlichen Regungen und gönnet Euch einige Annehmlichkeit im Leben, lasset Euch um des Himmels willen nicht das Diesseits vom Jenseits vergällen! Und auch nicht das Leben vom Tode! Im übrigen möge der höchste Richter richten, wenn die Zeit gekommen.«
»Ei, mein lieber Siorac!« erwiderte da l’Etoile, das gramvolle Gesicht unversehens von einem Lächeln überzogen, »Ihr seid es, der diesem Raum die Helligkeit verleiht durch Euern singenden Tonfall, Euern heiteren und unbeschwerten Sinn! Wie bewundere ich und wie neide ich Euch Euer frohes Gemüt! Die Sünden scheinen nicht schwerer auf Euern Schultern zu lasten denn ein Zaunkönig auf dem Zweig eines Eichbaumes!«
Das kommt daher«, antwortete ich, »daß ich ein so großes Vertrauen in die Güte unseres Schöpfers habe und vermeine, er werde uns die kärglichen kleinen Freuden, welche wir uns hier und da in unserem gar kurzen Leben zu verschaffen vermögen, schon nicht allzusehr ankreiden.«
»Doch leider wird uns etwas ganz anderes gepredigt!« sprach l’Etoile mit einem tiefen Seufzer.
»Ich folge hierin mehr meiner inneren Überzeugung als den harten Worten eines grimmigen Predigers und vertraue ganz, wie schon gesagt, auf die gütige Milde und Barmherzigkeit Jesu Christi, welcher der Dirne wie der Ehebrecherin verzieh.«
»Das waren Weiber«, entgegnete l’Etoile seufzend, und diese sind so schwach, daß ihnen leichter Vergebung gewährt wird.«
»Schwach?« lächelte ich, »sind wir das nicht alle in gleichem Maße?«
Was er darauf geantwortet hätte, erfuhr ich nicht, denn in diesem Augenblick betraten der Wundarzt Ambroise Paré und der gelehrte Meister der Künste Pierre de la Ramée, in dem latinisierten Französisch unserer Schulen Ramus genannt, das Tafelgemach. Ich weiß nicht, ob sie auch im täglichen Leben große Freunde waren, hier jedenfalls hatten sie sich untergehakt und wiesen eine gewisse Ähnlichkeit im Ausdruck auf, obgleich sie sich in Gesichtsform und Leibesgestalt gar sehr voneinander unterschieden.
Ambroise Paré, im vierundsechzigsten Jahr seines Alters stehend, war von mittlerer Körpergröße, breiten Schultern und einer beträchtlichen Leibesfülle, dabei ohne Schmerbauch; das schüttere braune Haar kurzgeschoren, hatte er einen wallenden dünnen Bart und eingefallene Wangen, ein langgezogenes Gesicht, eine fleischige Nase mit gerundeter Spitze, glänzende hellbraune Augen, bald ernst, bald fröhlich blickend. Ramus, sechs Jahre jünger, war schlank gewachsen, schien deshalb größer, als er war, und indes Paré wie auch l’Etoile streng in schwarzen Samt gekleidet waren, trug Ramus ein Wams von blauem Satin mit geschlitzten Ärmeln und einen anliegenden weißen Spitzenkragen an Stelle der kleinen hugenottischen Halskrause, aus welcher der Kopf Parés so steif aufragte. Seine Tracht und der Degen, welchen er an der Seite trug, gaben ihm ein adliges Aussehen, und er war in der Tat von solchem Stande, wiewohl er, von einem verarmten Edelmann abstammend, sich in jungen Jahren am Collegium von Navarra als Diener verdingen mußte, um sich des Nachts den schönen Wissenschaften widmen zu können.
Seine Augen von dunklem Braun blickten durchdringend unter spitzbogigen, starke Zorneskraft verratenden Brauen hervor; darunter eine herrische Adlernase, das kräftige Kinn streitbar hervorstehend und mit einem graumelierten Bart bedeckt, das ganze imposante Gesicht überwölbt von einem breiten Hirnschädel – einer erhabenen Kuppel gleich –, kahl und glatt wie ein Ei.
Der eine wie der andere traten mir mit
Weitere Kostenlose Bücher