Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
die Arme in seinem wiederkehrenden Grimm erhebend, »welch schändliches Vorurteil dieser gelehrten Männer mit ihren geleerten Köpfen!«
»Monsieur de la Ramée«, sprach l’Etoile mit einem Lächeln, »wenn Ihr so in Zorn entflammt, wird Eure Galle noch überlaufen und Euch die Verdauung stören. Labet Euch jetzt in aller Ruhe an diesen Hahnenkämmen und -geilen als auch den Artischockenböden, welchselbe so zarte und köstliche Speisen sind, daß es einen nur verwundern kann, daß die Königinmutter fast daran gestorben wäre.«
»Sie hat sich daran überfressen«, ließ sich Ambroise Paré vernehmen, »denn sie ist bei Tisch von schier unstillbarer Gier, wie sie es zu Lebzeiten Heinrichs II. im Bett gewesen sein soll. L’Etoile, der Ihr alles wißt, was am Hofe und in der Stadt geschieht, und gleichsam deren lebendige, tagtägliche Chronik seid, saget mir: ist es wahr, daß der Bischof von Sisteron am vergangenen Montag zu Paris so ruchlos gestorben ist, wie er sein Leben lang gelebt hat?«
»Leider ist dies nur zu wahr«, antwortete l’Etoile, wieder ganz sauertöpfischer Sittenprediger. »Dieser Prälat war unter allen epikureischen Schweinen das wüsteste und schmutzigste. Zu einer schönen und edlen Dame, welche aus christlicher Barmherzigkeit an sein Totenbett eilte und ihn fragte, was sie tun könne, um ihm in seinen letzten Augenblicken beizustehen, sprach er schamlos: ›Öffne mir deine Lustspalte. Nichts anderes begehre ich von dir. Was den Lebenden lieb und teuer war, soll es auch den Sterbenden sein‹«
»Und tat sie es? Trieb sie ihre Barmherzigkeit so weit?« fragte la Ramée mit glitzernden Augen.
»Was hätte es ihm genützt?« entgegnete l’Etoile, »Er lag inden letzten Zügen. Doch selbst da noch, unmittelbar vor dem Augenblick, da er vor seinem Schöpfer stehen würde, stieß er nichts als Ruchlosigkeiten aus.«
»Und auf welch niedrige Weise lohnte er das barmherzige Anerbieten dieser so edelen Dame!« fügte Ambroise Paré mit seiner ruhigen Stimme hinzu, die hellbraunen Augen voller Melancholie wie stets, wenn man vor ihm vom Tode sprach, welchen er als seinen großen persönlichen Feind ansah. »Ist es nicht wunderbarlich«, fuhr er fort, »daß einfache Kriegsleute zu mehr Dankbarkeit gegenüber ihrem Nächsten fähig sind denn ein Bischof? Ich entsinne mich einer Begebenheit, welche sich Anno 1552, also vor nunmehr zwanzig Jahren, während der Belagerung von Metz begab. Zu jener Zeit war ich Feldscher in Monsieur de Rohans Diensten. Einmal geschah es, daß man einen seiner Kriegsleute für tot gehalten hatte und auf dem Festungswall zurückließ, doch als ich ihn untersuchte, stellte ich fest, daß sein Atem noch ging. Obgleich eine Büchsenkugel seine rechte Lunge durchquert hatte und Monsieur de Rohans Medicus ihn für verloren hielt, ließ ich ihn in mein Haus bringen und war ihm dort einen ganzen Monat lang Arzt, Apotheker, Feldscher und Koch. Nach Gottes Willen genas er schließlich, worauf die Reisigen seiner Feldschar, höchstlich verwundert darob, daß ich soviel Mühe aufgewandt, einen der Ihren aus den Klauen des Todes zu entreißen, mir jeder einen ganzen Dukaten verehrten und die Schützen einen halben. Gewiß«, so fuhr er fort, »ich kann mich über die Großherzigkeit meiner hochwohlgeborenen Patienten nicht beklagen, von welchen ich reichlich Geld und Edelsteine erhielt, doch mit vollem Beutel ist gut freigebig sein. Um so mehr rührt mich die Hochherzigkeit dieser Kriegsmannen, die jeder einen Dukaten aus ihrem schmalen Säckel zogen, obgleich der Verwundete nicht ihr Verwandter war.«
Oh! dachte ich, um wieviel hochherziger hat dann erst ein Ambroise Paré gehandelt, welcher viele Tage lang diesem Kriegsmann unermüdlich seine Fürsorge hat angedeihen lassen und dafür keinen anderen Dank erwartete als das Glück, jenem das Leben wiedergeschenkt zu haben?
»Ehrwürdiger Meister«, sprach ich zu ihm, »die Beschädigung der Lunge dieses armen Kerls bringt mir ins Gedächtnis zurück, daß ich hörte, wie der König während seines Spielesim Ballhaus von einem häßlichen, rauhen, unstillbaren Husten gequält ward, an dem er, wie ich gehört, ständig leidet.«
»Dies ist wahr«, entgegnete Ambroise Paré mit einem Seufzer, »und es bekümmert mich sehr, obzwar ich nur der Wundarzt des Königs und nicht sein Leibarzt bin, denn ich für mein Teil vermeine, daß eine Schädigung der Lunge, sei sie durch eine natürliche Krankheit oder durch eine Büchsenkugel
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