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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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für die schöne Frau Gerichtsdienerin:
    Das Buhlen liebte sie fürwahr,
    als sie noch voller Leben war.
     
    Der Herr Gerichtsdiener, ihr Gatte,
    saß weitaus seltener zu Tisch,
    als seine Frau, die Nimmersatte,
    mit Herren amüsierte sich.
     
    Es heißt, daß sie vorm Zwölf-Uhr-Schlag
    mit so vielen ins Bett sich legte,
    als ihr Gemahl für einen Tag
    vor das Gericht zu laden pflegte.
     
    Ihr, meine Herren, denen ward
    einst jener Dame Gunst zuteil, sprecht ein Gebet nach alter Art
    für ihrer armen Seele Heil.
     
    Über dies kleine Pasquill lachten wir vier aus vollem Halse, jedoch nicht auf die gleiche Weise: l’Etoile, als ob er die Verse als kleine Rache für die herrschende Sittenlosigkeit ansähe; Ramus wie ein fideler Edelmann; Paré mit einem Anflug von Melancholie; ich selbst mit einem gewissen Erstaunen darüber, daß diese großen Geister sich wie gewöhnliche Bürger höchstlich belustigten ob dieser nichtigen Verse. Auch schien es mir damals recht leichtfertig, seinen Spott mit einer jungen Toten zu treiben, erst als ich Paris besser kannte, verstand ich, daß dort alles, auch der Tod, Stoff abgibt für witzige Spöttereien, Schmähgedichte, bissige Vierzeiler, so daß man sich wohl oder übel damit abfinden muß: der Humor in dieser stolzen Hauptstadt folget nicht den natürlichen Regungen des Gemüts, denn der tyrannische Brauch des Hofes wie der Stadt will, daß man mehr seinen Geist zur Schau stellt, als sein Herz sprechen läßt.
    »Ehrwürdiger Meister«, sprach ich zu Pierre de la Ramée,»irrt Aristoteles nach Eurer Meinung in allem? Gibt es nichts von ihm, das in Euern Augen Gnade findet?«
    »Doch, doch«, erwiderte Ramus, »Aristoteles hat ein großes Verdienst: er lehrte die Mechanik – ein Beweis, daß er die Anwendung der Mathematik zu gewöhnlichen, alltäglichen Zwecken nicht verachtete, wie dies Plato tat, für welchen sie nur Gegenstand reiner Betrachtung war und der deshalb seinen Schülern nicht erlaubte, sich durch die Beschäftigung mit ihren Anwendungen zu besudeln. Oh, Monsieur! welches Übel ist der Welt aus diesem bedauerlichen Irrtum Platos erwachsen! Denn wenn man die Anwendungen der Mathematik vernachlässigt, verkümmert auch die Mathematik selbst. Aus welcher Ursache selbige seit den alten Griechen nur kümmerlich fortgekommen ist, so daß sie heutigentags in Frankreich überhaupt nicht mehr gelehrt wird und nur noch den Händlern, Seefahrern, Goldschmieden und königlichen Schatzmeistern bekannt ist, soweit dies für die Ausübung ihrer Gewerbe notwendig.«
    »Wie!?« rief ich erstaunt, »die Mathematik wird in Frankreich nicht mehr gelehrt, währenddessen sie in Deutschland in hoher Blüte steht? Wie ist solches möglich?«
    »Monsieur de Siorac«, entgegnete mir Ramus, in dessen imposantem Gesicht sich Zorn und Schmerz malten, »nachdem der König für mich am Königlichen Collegium den ersten Lehrstuhl für Mathematik errichtet hatte, bekleidete ich diesen nicht ohne einigen Glanz und Nutzen zehn Jahre hindurch, nach welcher Zeit ich, da ich die Religion des Königs aufgab, auch meinen Lehrstuhl aufgeben mußte, welcher von einem gekauft ward, der zwar etwas von der Mathematik verstand, ihn aber seines Alters wegen alsbald weiterverkaufte. Und wißt Ihr, wer ihn kaufte?«
    »Nein«, antwortete ich, höchstlich erstaunt ob des rasenden Zornes, welcher Ramus erfaßt hatte, so daß ihm Hände, Arme und Kopf zitterten.
    »Ein ungebildeter Laffe!« stieß Ramus hervor, »ein Ungelehrter, welcher der Mathematik gänzlich unkundig ist, sie nie studiert noch betrieben hat! Ein Ungelehrter, der sich öffentlich über die Wissenschaft lustig macht, die er doch lehren sollte, und welcher die Stirn hat, überall zu behaupten, die Mathematik sei nur eine eitle leere Abstraktion und für das menschliche Leben ohne jeden Nutzen!«
    Nach welchen Worten er verstummte, wie erstickt an seinem Grimm und noch immer am ganzen Leibe zitternd. Und da ich ihn erstaunt, gleichsam zweifelnd und ungläubig ansah, sprach Pierre de l’Etoile, der mein Zweifeln wahrgenommen, mit ernster Miene zu mir:
    »Dies ist die Wahrheit, Monsieur de Siorac, so unglaublich es dem Verstande auch erscheinen mag. Dieser ›Ungelehrte‹, wie Monsieur de la Ramée sagt, nennt sich Charpentier und versteht nicht soviel von der Mathematik, als eine winzige Mücke auf dem Schwanze wegführen mag. Daß er sich den Lehrstuhl am Königlichen Collegium hat kaufen können, verdankt er der gewichtigen Fürsprache

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