Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
beim Schreiben seid.«
»Ich auch nicht«, setzte Baragran hinzu.
»Ich auch nicht«, ließ Coquillon mit einem Lächeln seines breiten Mundes hören.
Worauf der Lehrjunge wieder seine schwere Arbeit aufnahm, welche darin bestand, die Katze mit einem Ball ausStofflappen zu necken, welchen er vermittels einer Schnur bald hierhin, bald dahin rollen ließ.
»Dafür großen Dank euch allen dreien«, erwiderte ich. Doch von den dreien hielten nur zwei ihr Wort. Denn als ich am Ende der Seite angelangt, sprach Alizon:
»Welch langer Brief, Monsieur! Schreibt Ihr an eine Dame?«
»Nein. An meinen Vater, Alizon.«
»Und an Eure Frau Mutter?«
»Nein. Sie ist im Kindbett gestorben.«
»Ach, so sterben wir Weiber alle«, seufzte Alizon, »ohne daß wir das natürliche Ende unseres Lebens erreichen.«
»Schweig still, Alizon«, mahnte Baragran, »siehst du nicht, daß du unseren Edelmann störst?«
»Schweig selbst, du großer Dummkopf!« zischte Alizon, den Kopf wie eine züngelnde Schlange erhoben. »Monsieur«, fügte sie sanft wie ein neugeborenes Lämmlein hinzu, »Ihr seid mir doch nicht böse wegen meiner kleinen Schwätzerei?«
»Keineswegs!«
»Ich bitte trotzdem tausendmal um Vergebung, Monsieur. Von nun an werde ich stumm sein wie ein Klotz«, fügte sie hinzu und blickte mich vielsagend an.
Doch auch dies war ein leeres Versprechen, denn als sie mich nach erfolgter Siegelung des Briefes an meinen Vater ungesäumt einen neuen beginnen sah, sprach sie:
»Ha, Monsieur! Jetzt schreibt Ihr an eine Dame!«
»Nein. Dieses Schreiben ist an einen Apotheker zu Montfort-l’Amaury gerichtet.«
»Zu Montfort-l’Amaury!« rief sie aus, »Ich kenne jemanden, der sich morgen auf sein Landgut dorthin begibt und Euch in zwei Tagen die Antwort bringen könnte …«
»Und wird er meinen Brief mitnehmen?« fragte ich. »Er kennt mich doch nicht.«
»Aber er kennt mich«, antwortete Alizon, »und wird es tun, wenn ich ihn darum bitte.«
»Ganz vortrefflich, Alizon. Hab tausend Dank dafür!«
Und indes ich ihr einen liebreichen Blick zuwarf, dachte ich bei mir, wie nützlich doch Geduld in allen Dingen sei, denn weil ich das ständige Schwatzen der schönen Jungfer während des Briefschreibens ertragen, hatte ich einen so schnellen Boten gefunden.
Nach Siegelung des Briefes an Meister Béqueret übergab ich ihn also Alizon, welche ihn sogleich in ihren Busen steckte, als wär es ein Liebesbrief, den ich ihr geschrieben, wobei sie mich »lieblich anlächelte«, wie sie von ihrem kleinen Henriot gesagt. Dies verfehlte natürlich nicht, mir das Herz zu erwärmen, ohne indes den Verdruß mildern zu können.
Mein stets zuversichtlicher Sinn bewirkt jedoch, daß ich mich nach jedem Ungemach so schnell wieder erhebe, wie ein vom Schläger getriebener Ball vom Boden zurückspringt. Nach dem letzten liebreichen Lächeln, welches mir Alizon schenkte, ehe sie sich wieder ihrer Näharbeit widmete – von der nahen Kapelle der Unschuldigen Kindlein (welche gewiß sein konnten, für immer in diesem Zustand zu verbleiben, da sie nicht mehr zu den Lebenden zählten) schlug die elfte Stunde –, verließ ich also leichten Fußes das Haus, mich in die Rue Trouvevache zu begeben, bei jedem Schritt Gott dankend für die große Güte des Herrn de l’Etoile, welcher mich eingeladen, in so gelehrter und berühmter Gesellschaft zu speisen.
Ob Pierre de l’Etoile vermöge seines Amtes als Audienzrat oder dank einer Erbschaft so wohlhabend geworden, vermag ich nicht zu sagen, sein Haus war jedenfalls auf das trefflichste eingerichtet, und das Tafelgemach (im ersten Stockwerk gelegen) zeichnete sich aus durch gehörig gewachste prächtige Holzverkleidungen, einen Kamin, worinnen ein unzerteiltes Kalb hätte gebraten werden können, sowie durch die Reihung von großen Fenstern, in welchen keine bleigefaßten trüben Butzenscheiben saßen, sondern viereckige Scheiben aus klarem Glas, deren Benützung damals, insonderheit zu Paris, in den Häusern der Adligen üblich zu werden begann. Ich sprach darob voll Anerkennung zu Pierre de l’Etoile, welchen ich noch allein vorfand, schwarz gekleidet, einen sorgenvollen Zug um den Mund, die Nase spitz und lang, in Nacken und Schultern steif, die Augen indes, ganz anders als sein Körper, voller Lebhaftigkeit und Beweglichkeit, obzwar er mir an jenem Tage recht melancholisch gestimmt schien.
»Ei«, so sprach ich, »welch angenehme Helle die Reihe von Fenstern hier mit ihren großen Scheiben diesem
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