Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
sollen?«
»Wo denkt Ihr hin! Der Herzog hätte Euch mit seinem Haß verfolgt, und Euer Quéribus ebenfalls. Und dessen geschickte Klinge hätte die ihm solcherart angetane Beleidigung gerächt.«
»Da gehöre ich nun also«, sprach ich, ganz blöd vor Staunen und Verzweiflung und mit zitternden Knien, »ohne daß ich es gewollt noch gewünscht habe und allein durch eine unglückselige Verkettung der Umstände, zum Lager des Herzogs: ich, ein Hugenott, verachtet von den Anhängern des Guise, verdächtig dem König und beargwöhnt von den Meinen.«
»O mein viellieber Bruder!« rief da Samson, die himmelblauen Augen vor lauterem Eifer erleuchtet, »der Himmel spricht aus dem Munde Fogacers! (Worauf dieser seine diabolischen Augenbrauen in die Höhe zog.) Gebet dem verderbten Herzog ungesäumt seine verderblichen Dukaten zurück und jenem eitlen Fant das Wams, welches Euch auf der Haut sitzt wie der rote Mantel der großen Hure. Was brauchet Ihr die Gnade des Königs! Habt Ihr nicht längst die Absolution Eures Gewissens dafür, daß Ihr den ruchlosen Fontenac getötet? Mein Bruder, lasset uns die schlechten Menschen dieses neuzeitlichen Babylons fliehen! Lasset uns Zuflucht suchen in den Feldern von Mespech, in unseren lieblichen heimatlichen Gefilden, fern den Lastern und Greueln dieses stinkenden Paris!«
Samsons schöne Rede, welche so unversehens über uns hereinbrach, setzte uns in nicht geringe Betroffenheit, ausgenommen Miroul, dessen braunes Auge lustig blitzte und der leise bei sich sprach:
»Der rote Mantel ist von blaßblauem Satin.«
Wie ich mich angesichts all meiner Mißlichkeiten von neuem gegen meinen armen Bruder erzürnen wollte, legte mir Giacomi die Hand auf den Arm und sprach in sanftestem Ton:
»Samson, habt Ihr nicht zugehört?
É una questione di fattoe non di principio.
1 Pierre kann nicht umhin, die Gnade des Königs zu erwirken, denn ohne sie liefe er auch in Mespech größte Gefahr, der Strafe der Enthauptung anheimzufallen. Vor dem König aber kann er sich nur in diesem Wams zeigen, nicht in jenem, das Miroul über dem Arm trägt. Wenn er die Gabe des Herzogs ablehnte, würde dies ebenfalls Gefahr für sein Leben bedeuten. Wollet Ihr Euern viellieben Bruder denn um jeden Preis dem Tode ausliefern?«
Worauf Samson, welcher die Widrigkeiten des Lebens nur aus der Sicht der Bibel oder eines Pastors sah, mit Tränen in den Augen ganz betroffen schwieg. Ach, wie wenig war mein viellieber Bruder imstande, sich klüglich aufzuführen in der Stadt und am Hofe, in deren Fallen er doch selber schon bald nach meiner Ankunft geraten war wie ein Hase, der fürwitzig das schützende Dickicht verläßt! Wie sehr hätte ich gewünscht, daß mein Samson sich Hunderte von Meilen weit weg befände oder zumindest in Montfort-l’Amaury, wohin ich an Meister Béqueret geschrieben mit der Bitte, ihn für die Zeit meines Verweilens in der Hauptstadt zu beherbergen. Und jetzt lag mir solches um so mehr am Herzen, als mir nicht entgangen war, mit welcher Gewogenheit ihn der Herzog von Anjou während unserer Unterredung betrachtet und dann in seinem Brief meinen »so hübschen Bruder« genannt hatte. Sapperment! zu meinem ganzen Unglück hätte noch gefehlt, daß diese Gewogenheit deutlichere Gestalt annahm und mein Bruder, welcher zum Glück etwas langsam im Begreifen war, dies schließlich doch begriff! Heiliger Himmel! wie hätte er da Feuer, Flammen und glühende Kohlen gespien! Und in welch unerhörte Gefahren wären wir dadurch gestürzt worden!
Nicht daß ich glaubte, im Umkreis des Herzogs von Anjou besäße ein jeder die Fogacerschen Neigungen, obzwar ich beobachtet hatte, daß dieser Hang, welchen man in Frankreich das »italienische Laster« und in England das »französische Laster« nennt, dort nicht völlig unbekannt war, wobei der Herzog selbst, wie ich später hörte, zwischen zwei Leidenschaften unterschiedlicher Art zu schwanken schien. Offen gesagt hatte ich in dieser Hinsicht auch bezüglich des Marquis d’O, des jungen Maugiron und des Barons de Quéribus meine Zweifel gehabt, doch was den letzteren anging, waren sie sogleich wieder verflogen, denn als wir uns im Hof des Louvre ergingen, damit er sich in meinem verachteten Wamse zeigte, erregte eine jede vorbeigehende Schöne seine Aufmerksamkeit und blickte er ihr mit begehrlichen Augen nach, welche verrieten, daß sein ganzes Verlangen allein auf Eva gerichtet war und nicht auf denjenigen, welcher vor ihr geschaffen ward und nur ihr
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