Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
von allen belauert, und es wäre Euer Tod wie auch der meine, wenn der geringste Verdacht aufkäme, daß Ihr wider das seid, was Ihr soeben gehört.«
Mich verstohlen umblickend, sah ich so viele Augen blitzen vor Eifer, Zorn und Haß, daß ich sogleich dem guten l’Etoile gehorchte und – wenn auch mit blutendem Herzen – in das Gebet der Menge einfiel, welche andächtig den Gott der Liebe und Vergebung anflehte, er möge ihr den Mut geben, einen Teil der Christenheit umzubringen. Obzwar ich mit lauter Stimme betete und sogar einige Mühe aufwandte, mich der Worte des Ave Maria zu erinnern, welches mich Barberine in meinen Kinderjahren gelehrt und das ich um so lieber zweimal am Tage aufgesagt, als sich in meiner kindlichen Einbildung Maria und Barberine ein wenig ähnelten, so hätte ich mein Gebet mit dieser irregeleiteten Menge nur halben Herzens gesprochen, wenn ich ihm nicht einen ganz anderen Sinn gegeben und den Wunsch hineingelegt hätte, daß eine brüderliche Einigung zwischen uns und den Papisten zustande kommen möge, damit keines der beiden Lager jemals wieder unter den anderen ein Blutbad wie die Michelade anrichte, welche die Jahre meiner Jugend mit ihren unsagbaren Schrecken überschattet hatte.
»Siorac«, sprach l’Etoile zu mir, als wir die Kirche endlich verließen, »kein Wort, ehe wir nicht Euer Quartier erreicht haben. Man könnte uns hören!«
Ich mußte also meinen Zorn hinunterschlucken und meine Zunge zähmen, bis wir in Meister Recroches Werkstatt anlangten, worinnen sich niemand befand, denn jede Arbeit war untersagt des Sonntags und an den Festen der Heiligen, davon es viel zu viele gab nach Meister Recroches Bedünken, welcherdarob die Pfaffen auch nicht leiden mochte. »In jeder Predigt«, sagte er, »erfinden sie einen neuen Heiligen, an dessen Feiertag nicht gearbeitet wird, was zwar günstig für die Kollekte, doch höchst verderblich für das Handwerk ist.«
»Mein lieber l’Etoile«, sprach ich endlich, die Kehle wie zugeschnürt von dem Gehörten, »wird etwa in allen Kirchen, Kapellen und Abteien zu Paris auf solch höllische Weise gepredigt?«
»Um die Wahrheit zu sagen: es gibt sanftere Pfarrer als diesen Maillard, aber es gibt auch schlimmere.«
»Ach!« rief ich bestürzt, »mein lieber und aufrichtiger Freund, wohin soll dies führen? Es ist doch nichts anderes als Aufstachelung zu grausamem Mord!«
»Ganz offenkundig. Der Grund Eures Erstaunens liegt darin, daß Ihr in Eurer Provinz nicht zur Messe geht. Ich indes höre diese Sprache jeden Sonntag, und wenn ich mich auch jedesmal von neuem darüber empöre, so überrascht sie mich doch kaum mehr. O mein lieber Siorac, glaubet mir! Haltet Euch hier nicht länger auf, als für Euer Vorhaben notwendig. Reiset ab, sobald Ihr könnt. Beim Großtürken wäret Ihr in größerer Sicherheit als in diesem Paris.«
Wie er nun so sprach, klopfte es an der Türe, und da zu dieser Stunde niemand im Hause war, ging ich öffnen. In meinen Gedanken noch ganz beschäftigt mit den ernsten Dingen, über die wir gesprochen, sah ich eine große, schön gekleidete Dame vor mir, welche ich unter anderen Umständen trotz ihrer Maske in ihrem Gebaren und ihren blonden Haaren wohl erkannt hätte, die ich indes in meiner Gedankenverlorenheit recht kühl grüßte und danach befragte, wen sie zu sprechen wünsche.
»Euch natürlich, mein lieber Bruder«, gab sie zur Antwort, die Maske von ihrem schönen Gesicht nehmend, »erst Euch«, fuhr sie mit schmeichelnder Stimme fort, »und dann … Ihr wißt schon, wen.«
»Wie!« rief ich höchstlich erstaunt, »Dame Gertrude du Luc! Oh, wie erfreut es mich, Euch zu sehen!«
»Mein viellieber Bruder«, sprach die blonde Normannin, mir die Arme um den Hals schlingend und mich an sich drückend, daß mir schier der Atem verging, »welch Entzücken, Euch wieder so nah zu sein nach all den vielen Monaten!«
Unter diesen Worten preßte sie mich noch stärker an ihren weichen Busen, und ich hätte nicht vermocht, ihren heißenLippen zu entgehen, welche mein Gesicht unaufhörlich herzten, wenn ich nicht den Kopf über ihre Schulter gedreht hätte, wodurch ich gerade noch sah, wie der gute l’Etoile mit langem Gesicht und hängender Unterlippe, voller Mißbehagen über unser Halsen und Kosen, die Werkstatt eiligst verließ und die Tür hinter sich zuwarf, so sehr verabscheute der Audienzrat die Liebe außerhalb der Ehe, obgleich ihm die eigene Ehe doch gar wenig Vergnügen beschert
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