Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
die Tür fest zuzusperren, alle Fensterläden vorzulegen und zu sichern sowie auf äußerster Hut zu sein. Worauf er Guerchy, mir und La Bonne (dem Haushofmeister des Admirals) eine gute Nacht wünschte und mit seiner um die Hälfte verringerten Eskorte davonzog, uns – neben vier anderen von geringerem Wuchs – Fröhlich und Cadieu zurücklassend, deren hünenhafte Gestalten das kleine Haus unversehens ganz auszufüllen schienen. Doch was vermochten diese Riesen mit ihrem Kurzschwert und ihrer Partisane gegen vierzig Arkebusenschützen auszurichten?
Der Haushofmeister La Bonne, welcher seinem Namen alle Ehre machte, denn er war ein lieber Kerl mit einem runden Schmerbauch, gütigen Augen und einer sanften Stimme, führte unsere Schweizer in den unteren Saal und versorgte sie artig mit einem Krug Wein, einem Laib Brot und etwas Käse, bevor er sich mit mir in die Kammer des Admirals zurückzog. Miroul, die zwiefarbenen Augen so sorgenvoll, daß sie beide fast schwarz schienen, folgte mir wie mein Schatten überallhin nach, wieder und wieder mit der Hand nach seinem Dolch und nach den beiden Messern tastend, welche wurfbereit in seinen Beinlingen steckten. Außer La Bonne und uns befanden sich in der Kammer des Admirals noch sein Diener Yolet, Nicolas Muss, sein Dolmetsch für die deutsche Sprache, der Pastor Merlin, der Fahnenjunker Cornaton sowie Madame de Téligny. Der Admiral war soeben erwacht und bat, man möge seine Tochter nach Hause in die Grand’ Rue Saint-Honoré bringen, wohin ein knappes Dutzend Edelleute samt zwei Dienern mit Laternen sie begleiteten, nicht ohne daß die arme Frau noch einmal zurückeilte, von ihrem Vater Abschied zu nehmen, die blauen Augen voller Tränen und das liebliche Angesicht von Kummer entstellt; der Admiral wiederholte zu ihrem Troste, daß er sich gar wohl befinde, indes sie, von einer dunklen Vorahnung befallen, plötzlich um sein Leben fürchtete und sich nur schwer von ihm zu trennen vermochte.
La Bonne löschte sodann alle Kerzen außer einer einzigen,und ein jeder richtete sich ein, die Nacht auf einem Schemel zu verbringen, denn der einzige Lehnstuhl blieb dem Pastor Merlin vorbehalten, welcher schon betagt und altersschwach war. Keiner dachte an Schlaf, obgleich um uns tiefe Stille herrschte: sowohl im Hause (was nicht verwunderlich war) als auch in der riesigen waffenstarrenden Stadt, darinnen wir wie in einer Falle gefangen saßen, weil die Tore der hohen Stadtmauer verriegelt und die Brücken mit Ketten versperrt waren.
Oh, Leser, es war nicht so sehr die Angst vor dem Tode, welche mich quälte, sondern mehr die Verzweiflung darüber, daß wir so gehaßt wurden von der großen Mehrzahl dieser biederen Leute, die Glieder desselben Volkes waren wie wir, Untertanen desselben Königs, Menschen desselben Schlages wie wir, sich erfreuend an denselben Freuden, leidend unter denselben Übeln und den Ansturm des Alters auf unsere vergänglichen Leiber fürchtend; unsere Brüder also, wie auch wir unzweifelhaft die ihren waren und nicht der »verfaulte Ast am Baume Frankreich«, der unbedingt abgehauen werden müsse, wie Jesabel in demselben Augenblick im Louvre zu ihrem Sohn sagte, um ihm trotz seiner Zweifel den Erlaß über unseren Tod zu entreißen. ›Ja‹, so dachte ich – und denke es noch heutigentags –, ›in allen Punkten ihre Brüder und nicht jene Wesen, welche die papistischen Pfaffen in ihren Predigten auf so unerträgliche Weise aus der menschlichen Gemeinschaft ausschließen, indem sie uns zu Hunden, Schlangengezücht und Ungeziefer erniedrigen, das Gott auszutilgen befahl.‹
Indes ich nun in der Stille der Nacht solcherart Gedanken nachhing, die halbgeöffneten Augen auf die Kerze gerichtet, deren gelbliche Flamme jeden Moment erlöschen zu wollen schien, ohne je zu erlöschen – worinnen sie dem verfolgten Glauben der Meinen gar ähnlich war –, mußte ich unversehens an Alizon denken: die haßvollen Worte dieser wackeren Jungfer, welche die Gefühle eines ganzen Volkes widerspiegelten, drückten mir gar schwer auf der Seele, welche Seelenpein in der Stille, der Einsamkeit, dem schier endlosen Warten jener Nacht schließlich so groß ward, daß ich, die Hand auf meine Augen legend, damit niemand es gewahre, bittere Tränen vergoß.
Leider weiß ich nur zu gut, daß auch die Unseren nicht gegen den Glaubenseifer mit seinen unmenschlichen und grausamen Auswüchsen gefeit sind: zeugt nicht das Blut der Michelade zuNismes laut von unserer Schuld?
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