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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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mein Hemd«, sprach ich, das Wams ablegend, »du kannst die Ärmel abschneiden, Alizon. In dieser Sommerhitze ist mir ein ärmelloses Hemd genug.«
    »Und hier das meine«, setzte Miroul hinzu. »Zwei Ärmel an jedem Hemd – jetzt reicht es hin.«
    Ohne ein weiteres Wort machte sich Alizon ungesäumt ans Werk und nähte im flackernden Kerzenschein zuerst mir den Ärmel an, indes ihr eine Träne im Auge stand: die kleine Teufelswespe war weniger ein Geschöpf der Hölle als des Paradieses und dazu über die Maßen couragiert, denn mit solcher Hilfe setzte sie ihr eigenes Leben aufs Spiel wie das ihres kleinen Henriot, welcher so holdselig in seiner Wiege schlummerte, die kleinen Fäuste neben dem zarten Köpfchen.
    Wie gern hätte ich das herzige Kindelein in meine Arme genommen, denn es hätte meine Seele erquickt, an meiner Brust die Wärme dieses zarten Wesens zu verspüren, dem jegliche Grausamkeit fremd, da es noch kein Mann, sondern dem Himmel so nahe war. Doch ich wollte es nicht aus seinen holden Träumen wecken, zudem fühlte ich mich zu schmutzig und blutbefleckt, als daß ich gewagt hätte, den kleinen Henriot auch nur mit den Fingerspitzen zu berühren. Oh, Leser! bis an das Ende meiner Erdentage werde ich mich dieser stillen Minuten in Alizons Kämmerchen erinnern (denn aus Furcht, die Aufmerksamkeit der Nachbarn zu erregen, wagten wir kaum zu atmen), indes Alizon schweigend nähte und der Kleine in seiner Wiege holdselig lächelte, als tummele er sich im Garten Eden.
    Da keiner von uns einen Hut hatte, ein Kreuz daran zu tragen, mußten wir es bei den weißen Ärmeln bewenden lassen, und nachdem Miroul den für Giacomi in sein Wams geschoben, nebst Nadeln für das Befestigen, falls das Schicksal es wollte, daß wir den Maestro auf dem Grève-Platz träfen, schlichen wir lautlos wie Jäger auf der Pirsch die Treppe hinab. Als Alizon die Haustür aufgesperrt, warf sie sich mir in die Arme, und da ihre Stimme in dem Lärm der Straße nicht zu hören war, sprach sie mir ins Ohr, indes ihre heißen Tränen meinen Hals netzten:
    »O mein Pierre, die Hölle ist los! Ich habe mit ansehen müssen, wie in dem Haus dort mit den eingeschlagenen Türen und Fenstern eine ganze Familie umgebracht ward: Vater, Mutter, Hausmagd, Kinder (davon eines im Alter meines kleinen Henriot) – alle mitleidlos niedergemetzelt. Man riß ihnen die Kleider vom Leibe und schleifte sie, einige stöhnten noch, an Stricken durch den Straßenschmutz zum Seine-Fluß, indes der geplünderte Hausrat auf Karren geladen ward. O mein Pierre, welch gewaltiger Abgrund klafft zwischen den Worten, wie auch ich sie nachgeschwatzt, und der Tat selbst oder dem bloßen Zuschauen! Ich kann nicht glauben, daß die Heilige Jungfrau, die so sanft und gut ist, solches Blutvergießen will!«
    Auf welche Worte ich nichts erwiderte, so schwer war mir das Herz, doch ich liebkoste Alizon und schmiegte mich an sie, als sollten ihr Leib und der meine zu einem einzigen zusammenwachsen. Die Sprache wiederfindend, dankte ich ihr von Herzen und gelobte wiederzukommen, so ich diesem Gemetzel entkäme. Indes sie ihre Arme um meinen Hals geschlungen hielt und mich mit schier übermenschlicher Kraft an sich preßte, als wolle sie mich wie ihr Kindelein an ihrem Busen halten und vor dem Messer schützen, so voller Mitleid und Mütterlichkeit war diese treffliche Jungfer auch für ihren Liebsten. Doch schließlich mußte ich mich, ob ich nun wollte oder nicht, von ihr losreißen und setzte mit Tränen in den Augen, so daß ich die schlechte Welt der Menschen rings um mich kaum wahrnahm, meinen Weg fort.
    Miroul führte uns ganz meisterlich durch ein Gewirr von schmutzigen Gassen, so daß wir am Ende glücklich am Rathaus und dem Grève-Platz anlangten, wo eine riesige Volksmenge versammelt war, welche sich im Scheine von Fackelnund Laternen gar sehr ergötzte an dem Schauspiel, welches der Pranger bot, ein achteckiger, blutrot angestrichener Holzkäfig, der sich mit unheilvollem Knarren um die eigene Achse drehte, dabei die Unglücklichen, deren Köpfe aus den Brettern ragten, darin sie eingeschlossen, ringsum zur Schau stellte und sie solcherart den Beschimpfungen der Fischweiber, dem Unrat und den Steinen, mit denen die Menge sie bewarf, aussetzte. Ein Kerl, welchen ich zu fragen wagte, wer denn die Satansbraten seien, die sich dort geschmäht und gepeinigt drehten, antwortete mir lachend, es seien drei reformierte Pastoren, welche man gerade ergriffen und an denen man

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