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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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daß er sich in seinem Innern verwunderte ob meiner französischen Heißblütigkeit, und ich errötete verwirrt. Dies gewahr werdend und daran meine Verlegenheit ermessend, ergriff er meine beiden Hände und sprach in feierlichem Ernst zu mir:
    »Aus ganzem Herzen, Herr Medicus, so ich mich durch mein Tun dieser Erwählung würdig zu erweisen vermag.«
    Oh, Giacomi! Indes ich diese Zeilen schreibe, gedenke ich immer noch voller Bewegtheit unseres Gesprächs, obgleich unterdessen so viele Jahre verronnen und im Staub der Zeit versunken sind. Und auch wenn es an jenem Tage den Anschein hatte, als ob ich allzu rasch und unbesonnen meiner ersten Eingebung folgte, so war ich doch – wenn man es recht bedenkt – gut beraten, daß ich, nachdem du dich in der ersten Bewährungsprobe als ein so wackerer Mann erwiesen, meine Seele mit der deinen durch eiserne Fesseln verband.
    Mein anderer Bruder, der vermeldte fünf Tage in jenem Feuerofen verbracht, kam hohlwangig und verträumt zurück und schlief ungesäumt vierundzwanzig Stunden in einem Zuge hintereinanderweg, wonach er, verzweifelt darob, daß er gegen das Gebot des Herrn gesündigt und außerhalb der Ehe seinen Leib mit einem Weibe geteilt, bald die Hände rang und sich sein kupferrotes Haar raufte, bald ohne Unterlaß von seiner betörenden Schönen sprach, wobei das Blitzen seiner Augen die Wonnen erahnen ließ, welche diese Circe zu jeder Stunde durchströmt hatten, ohne indes ihre Unersättlichkeit stillen zu können; denn bei mancher ist der Strudel der brennenden Wollust abgrundtief, und wer immer hineingerät, taucht niemals wieder daraus auf.
    »Herr Medicus«, sprach Giacomi mit feinem Lächeln zu mir, »wenn ich die Worte Eures schönen Bruders Samson höre, so deucht mich, daß diese normannische Dirne von gleicher Art sei wie die meinige zu Genua und daß man von beiden zu sagen vermöchte, was der göttliche Dante von der Hölle sagt:
Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate!
1 «
    Da die schöne Frömmlerin nun gen Rom weitergereist war, nach dem Ablaß von ihren Sünden, der dort gegen klingende Münze gewährt ward, gierend wie die Stute nach dem Hafer, erzählte ich meinem vielgeliebten Bruder unseren Kampf mit den Banditen.
    »Oh, mein Pierre!« sprach er zu mir in gar großer Scham und Bestürzung, »du gerietest in Gefahr für Leib und Leben, indes ich mich in liederlichen Ausschweifungen erging. Wie hätte ich mir je verzeihen können, wenn du den Tod gefunden hättest!«
    »Doch ich bin frisch und gesund, mein Samson! Und du wirst mit mir ziehen, wenn ich zu meiner Angelina nach Barbentane aufbreche – mit Miroul und mit meinem Bruder Giacomi.«
    »Euer Bruder, mein Herr Bruder?« sprach Samson, und ich vermag nicht zu sagen, ob Zweifel oder Pein sein azurblaues Auge trübte. Und nachdem er mich einen Augenblick angeschaut, fragte er frei und geradeheraus in voller Unschuld: »Liebt Ihr ihn mehr als mich?«
    »Gewiß nicht, mein Samson!« rief ich und legte, von meinem Hocker aufspringend, meine Arme um ihn; Wange an Wange, sprach ich mit bewegter Stimme: »Samson, Ihr seid der Gipfelpunkt meiner brüderlichen Liebe, so hoch wie die schneebedeckten Spitzen der Berge, und keiner wird Euch je gleichkommen!«
    Worauf er, mit dem Handrücken eine kleine Träne abwischend, welche über sein schönes Antlitz rann, in seinem arglosen und aufrechten Sinn sogleich getröstet war und niemals wieder in Zweifel zog, was ich ihm gesagt.
    Den darauffolgenden Tag erhielt ich einen Brief von meiner Angelina, welcher mich mit tiefster Verzweiflung erfüllte. Monsieur de Montcalm, in einen schier endlosen Rechtshandel um eine Mühle verwickelt, hatte zur Beförderung dieser Angelegenheit beschlossen, sich nach Paris zu begeben, um die Richter dort für sich einzunehmen, und gedachte, Frau und Tochter mit auf die Reise zu nehmen, da ihm jede Trennung von ihnen – und sei es nur für einen Tag – höchst schwerfiel.
    »Oh, Monsieur!« schrieb mir Angelina, »Welch unglückliche Schicksalsfügung! Ich werde in der Hauptstadt sein, wenn Ihr dies Schreiben erhaltet, und mich dort zutiefst unglücklich fühlen, da ich doch gehofft, die gar große Freude zu haben, Euch nach Euern
triduanes
auf Barbentane wiederzusehen. Auch weiß ich nicht, wann wir in die schönen Lande der Provence zurückkehren, denn solcherart Prozesse nehmen nur langsam ihren Fortgang wie der Schneck auf dem Salat, begleitet auch mit ebensoviel Schleimerei wie mit gewundenen endlosen Disputen,

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