Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
daß einem der Kopf ganz wirr werden könnte. Auch bin ich voller Zorn, denn ich habe Monsieur de Montcalm zu meiner Frau Mutter sagen hören, daß er mich zu Paris verheiraten wolle. So wird er wohl höchst erstaunt sein, mich unerschütterlich in meiner Weigerung zu sehen, da ich nichts und niemand so liebe wie Euch, Monsieur, und Euch Treue geschworen habe bis zum Tode, welchen ich jedoch um nichts in der Welt begehre – möge Gott der Herr dies wohl vernehmen –, denn mich verlangt es nach nichts so sehr als nach dem unendlichen Glück, eines Tages ganz die Eure zu sein.«
Oh, Leser! Hast du jemals von einem geliebten Wesen einen ergreifenderen und offenherzigeren Brief erhalten? Und kannst du dir vorstellen, mit welch großer Trauer als auch Rührungich diese wunderbaren Zeilen las, dank welcher Angelina meinem Herzen so nahe war, obgleich sie doch in unerreichbarer Ferne weilte? Denn wie hätte ich sie in Paris, wenn sie dort länger bliebe, aufsuchen können? wie die weite Reise bis zur Hauptstadt machen? mit welchem Geld? und unter welchem Vorwand und Schein je meinen Vater von der Notwendigkeit einer so gefahrvollen und kostspieligen Reise überzeugen?
Ich warf mich auf mein Bett und küßte diesen Brief, wie ich es mit der Hand der Schreiberin getan hätte, oder netzte ihn mit meinen Tränen, die mir ohne Unterlaß über das Gesicht rannen. Denn ich vermochte sie nicht zu stillen, das Herz tat mir zu weh, um so mehr, da es kaum einer Woche bedurfte, mit verhängten Zügeln von Montpellier nach Barbentane zu sprengen, und ich Angelina schon im vollen Liebreiz ihres langen Haares in meinen Armen gewähnt, indes sie nun ganz unversehens weit entrückt war an einen unerreichbaren Ort, fast am anderen Ende des Königreiches, welches ich nicht zu durchqueren vermochte; und so schienen sich die langen Monate, welche sie fern von mir sein würde, wie die unendlichen Weiten des Meeres vor mir zu erstrecken. Ach, wie deuchte mich das Leben eine einzige Wüste nach diesem Schicksalsschlag! Und wie erschien mir alles sinnlos, eitel, leer, ohne Nutz und Frommen, einschließlich des Titels Hochwürdiger Doktor der Medizin, mit welchem ich jetzt geschmückt und der mir in meinem Herzeleid keinen Trost zu geben vermochte.
Oh! die Torheiten, die Träume, die Unersättlichkeit eines Liebenden! Ich preßte Angelinas Brief an mein Herz, und eine Minute später, meine Tränen trocknend, zog ich ihn wieder aus dem Wams hervor, um ihn wieder und wieder zu lesen. O Himmel! ich las ihn wohl mehr als hundertmal, und jedesmal vermeinte ich den Klang ihrer Stimme zu vernehmen (denn ihr Brief war lebhaft und ungezwungen wie ihre Rede), den unendlich liebreichen Blick ihrer großen sanften Augen auf mir zu verspüren, was meinen Schmerz linderte. Aber ach! welcher Preis mußte gleich darauf für dies flüchtige Gefühl des Glücks gezahlt werden, denn je mehr mir meine Angelina gegenwärtig erschien, desto stärker verspürte ich gleich darauf den Kummer ob ihrer Abwesenheit.
So verbrachte ich drei Tage ganz zurückgezogen in meiner Kammer, unter Weinen und Schluchzen tausend Tode sterbend;kaum daß ich mich an die gemeinsame Tafel hinabbegab, wo ich von der kargen Kost aus Meister Sanches Küche nur wenig anrührte. Als schließlich Madame de Joyeuse sich über einen Lakaien nach mir erkundigte, antwortete ich, daß ich das Bett hüten müsse. Der Leser wird es nicht glauben! Diese hochgeborene Dame, welche genauso toll war wie ich, wenngleich um anderer Ursache willen, hatte die Kühnheit, mich im Abendgrauen in meiner Kammer aufzusuchen, natürlich in einer Mietkutsche, damit das Familienwappen auf der ihren nicht in meiner Straße gesehen werde, und auch verlarvt und dicht verschleiert sowie in einer Gewandung, welche sie für die einer Bürgerfrau hielt (es aber nach meinem Bedünken mitnichten war). Nachdem die Kammertür verriegelt, tröstete sie mich gut drei Stunden lang (denn wie immer erzählte ich ihr alles von meiner Angelina), und indem sie mir Linderung verschaffte, brachte sie mich Schritt um Schritt im Fieber der Erregung unmerklich dazu, ihr ebensolche zu verschaffen. Was ich mit Dankbarkeit wie mit Anstand tat und auch, weil die drei Tage die mir innewohnende Lebenskraft kaum gemindert hatten.
So geschah es, daß ich mich den folgenden Tag in ausreichend kräftiger Verfassung fühlte, mit Giacomi das erstemal die Klinge zu kreuzen, zwar nur kurze Zeit, doch lange genug, um zu begreifen, daß ich alles, was mir
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