Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
mit den Füßen berührend, zur Wegbiegung. Dort angelangt, schob er nicht etwa vorsichtig die Nase vor, um sehen zu können, wassich dahinter tat, sondern machte sich daran, den steilen, ja fast senkrechten Felsen zu erklimmen, um welchen der Weg herumführte.
»Welch bewundernswerte Behendigkeit!« sprach Giacomi mit einer Ruhe und Gelassenheit, welche angesichts der gar großen Fährnis, die uns drohte, meine Bewunderung hervorrief. »Mit Eurer Erlaubnis, mein Bruder, werde ich Miroul in meiner Kunst unterweisen. Denn wiewohl er nicht von hoher Geburt, verdienet er doch diese Gunst.«
»Das vermeine auch ich. Ist es nicht Jammer und Schade, daß ein wackerer Bursche, redlich wie das lautere Gold, rechtschaffen, tapfer und dazu von verständigem Sinn und großer Geschicklichkeit des Leibes, nicht nach Höherem streben kann als dem Stand eines Bediensteten, wenn er zu seinem Unglück das Licht der Welt in einer Strohhütte auf dem platten Land erblickte?«
»Er vermöchte schon, Höheres zu erreichen«, hielt Giacomi dagegen, »wenn er ein Mann der Kirche wäre, des Lesens und Schreibens kundig, oder sich, besser noch, auf das Waffenhandwerk verlegte. Allein, dazu müßte er Euch verlassen, was er nie täte. Er hegt eine allzu große Liebe zu Euch.«
»Und wie sollte ich mich je damit abfinden, daß er mich verließe?« sprach ich mit einiger Bewegtheit. »Denn obgleich nur ein Bediensteter, ist er mir lieb und teuer.«
Doch indes ich so sprach, mir den Anschein gebend, als schwatzte ich leichten Tones mit Giacomi trotz all meiner Besorgtheit, welche ich in meinem Innersten verschlossen hielt, wurde ich gleichwohl gewahr, daß ich meine eigene Bequemlichkeit über Mirouls Fortkommen stellte.
Wütend über mich selbst ob dieser Erkenntnis, sprach ich barschen Tones zu Miroul, welcher just in dem Augenblick zurückkam:
»Du hast eine gar lange Zeit gebraucht. Wozu diese Kletterei?«
»Moussu«, sprach Miroul mit einem traurigen Ausdruck in seinem braunen Auge, während sein blaues Auge kühl blickte (ein Zeichen dafür, daß er sich meinen Vorwurf gar sehr zu Herzen nahm), »von dort oben konnte ich in die Satteltaschen der Schurken blicken, in welchen ich freilich weder Pistolen noch Terzerole oder Arkebusen entdeckte. Doch am Ende dieserSchar, welche nicht mehr denn sieben Mann zählt, sah ich zwei Pferde ohne Reiter, was bedeuten kann, daß zwei von den Schurken auf dem Steilhang bei Taniès im Hinterhalt liegen, uns wie Tauben abzuschießen.«
»Dank sei dir, Miroul«, sprach ich, sehr beschämt über meine Ungeduld, »ich selbst hätte die Sache nicht so trefflich verrichten können. Hast du Fontenac gesehen, diesen Verräter?«
»Ja«, antwortete Miroul, »in karmesinrotem Wams und Barett, ganz steif und stolz auf einem scheinheiligen weißen Gaul, der uns weismachen will, die Seele seines Herrn sei von gleicher Farbe.«
Und obgleich ich diesen Scherz nicht sonderlich gelungen fand, lachte ich aus vollem Halse, um einigen Balsam auf die Wunde zu träufeln, welche ich meinem wackeren Diener zugefügt.
»Miroul«, sprach ich, »binde das Packpferd an den knorrigen Ast jenes Feigenbaums, der dort im Gestein des Hanges zu wachsen sucht, dann steige wieder auf dein Pferd, gib den Schuß in die Luft ab, wie du geraten, und lade sogleich wieder.«
Indes Miroul tat, wie ihm geheißen, nahm Giacomi seinen Umhang von den Schultern und legte ihn, nachdem er seine zweite Pistole unter der Hinterbacke hervorgezogen und bequemer zwischen seinen langen Schenkeln untergebracht, über seine Knie.
»Samson«, sprach ich, »träumt nicht so in den Tag. Ich kenne Euern Mut, zeigt ihn jetzt auch. Und denket daran, ungesäumt zu schießen, so dies notwendig ist. Dieser Fontenac ist die Geißel von Mespech. Das hat man Euch mehr als hundertmal gesagt.«
»Ich werde es nicht vergessen«, entgegnete Samson.
Sodann sagte ich mit leiser Stimme ein Vaterunser auf, welches alle drei mitsprachen, und nachdem ich mich auf Stirn, Lippen und Brust bekreuzigt hatte, rief ich mit munterer und fröhlicher Stimme, wie es mein Vater an meiner Stelle getan hätte:
»Gefährten, dies ist unser Tag. Vorwärts!«
Wir gaben unseren Rössern die Sporen, doch nur sehr sachte, und in verhaltenem Schritt, die blanken Degen am Handgelenk hängend, in der Faust die Pistole, ritten wir los;die Pferde hielten die Ohren gespitzt, unsere Augen spähten wachsam umher, und unter der zur Schau getragenen Gelassenheit klopften unsere Herzen, wie sich
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