Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
herunterfallenden Ähren sollten den Mundvorrat der Ährenleser vergrößern. In gleicher Weise hielt sich Montaigne höchst genau an den alten Brauch, das Vieh der Ärmsten auf seinen abgeernteten Feldern weiden zu lassen, wohingegen sie in Mespech ungesäumt gepflügt wurden, damit die umgebrochene Stoppel den Boden düngen möge, was gewiß klug und nützlich gehandelt war, doch die Leute in unseren Dörfern verärgerte, so daß wir anfangs manchen Strauß mit ihnen auszufechten hatten.
Doch kommen wir wieder zu unserem vergnüglichen, üppigen perigurdinischen Mahl zurück: ich weiß nicht, wie wir auf Liebe und Ehe zu sprechen kamen, doch Monsieur de Montaigne war hierbei von erstaunlicher Offenheit, und obgleich er viel von sich zu sprechen pflegte, so tat er es nicht auf eine kleinliche, gewöhnliche und selbstgefällige Art, sondern als ob er vermittels seiner eigenen Wesensart die menschliche Natur im allgemeinen beschriebe.
»Ich habe mich in meinen jungen Jahren«, sprach er mit der ihm eigenen Ungezwungenheit, »ebenso leichtsinnig und unbedachtsam meinen Begierden und Verlangen überlassen wie irgend jemand. Und habe es dabei auch zu einigem Ruhme gebracht, mehr indessen in der Dauer und Beständigkeit als durch die Heftigkeit des Angriffs:
Sex me vix memini sustinuisse vices.
1 «
»Sechsmal! Monsieur de Montaigne«, entgegnete ich lächelnd,»wer dürfte mit dieser Zahl unzufrieden sein? Ich für mein Teil wäre zufrieden.«
»Ich bin es nicht«, sprach Montaigne. »Da die Hast eines meiner Laster ist, finde ich die Liebeslust schnell und übereilt. Und mir geht es wie jenem Schlaukopf aus der Antike, der sich einen Hals so lang wie den eines Storches gewünscht, um die Speisen länger genießen zu können.«
Worüber ich gar herzlich lachte wie auch Giacomi, jedoch nicht mein armer Samson, den diese lockeren Reden so sehr in seinem Innersten verdrossen, daß er die Augen gesenkt hielt und eine abwesende Miene aufsetzte, als höre er nicht zu.
Montaigne fragte mich darauf mit seinem tiefgründigen Lächeln, wie ich die Frauenzimmer, welche ich umworben, behandele, nachdem sie mein geworden.
»Nun … gut«, entgegnete ich.
»Und daran tut Ihr recht«, sprach Montaigne, »im Gegensatz zu der Mehrzahl der Männer; denn ich vermeine, man müsse mit ihnen ebenso ehrlich und gerecht verfahren wie bei jedem anderen Handel. Da es mir widerstrebt, sie zu täuschen oder zu hintergehen, ließ ich ihnen nie mehr Zuneigung zuteil werden, als ich für sie empfand. Ich war so kärglich in meinen Versprechungen, daß ich vermeine, mehr gehalten zu haben, als ich versprochen oder als ich schuldete. Und schließlich habe ich mich von keiner in Verachtung oder Haß getrennt, denn solcherart Vertraulichkeiten, wie sie uns gewähren, verpflichten bei der Trennung zu einigem Wohlwollen. Monsieur de Siorac«, so fuhr er mit einem Lächeln fort, »ich habe sagen hören, Ihr seiet zu Montpellier der Günstling einer höchst vornehmen Dame gewesen, die Euch sogar ihren kleinen Vetter genannt, obgleich Ihr solches nicht waret.«
»Ich hatte«, gab ich mit einem leichten Verneigen des Kopfes zur Antwort, »dieses Privileg.«
»Ihr hattet Glück und einen klugen Kopf«, sprach Montaigne. »Als ich Eures Alters war, stand mein Verlangen so sehr nach den ehrbaren Frauenzimmern, deren Bekanntschaft ich zu schließen vermochte, daß ich mich kaum zu käuflichen und öffentlichen Reizen hingezogen fühlte, denn ich wollte mein Vergnügen noch durch den Ruhm erhöhen. Ich tat es in gewisser Weise der Kurtisane Flora zu Rom nach, die sich keinem Geringeren als einem Diktator oder Konsul oder Zensor hingab.Mein Vergnügen erwuchs aus dem Rang meiner Geliebten.«
»Offen gestanden, Monsieur de Montaigne, verachte ich auch Liebschaften mit niederen Frauenzimmern nicht, in welchen ich große Annehmlichkeiten finde und zuweilen auch Zuneigung, welche mein Herz rührt.«
»Auch ich tue das keineswegs«, entgegnete Montaigne, »zu mal ich mich nicht wie die Spanier mit einem Blick, einem Kopfnicken, einem Wort oder einer Geste begnügen könnte. Wer vermag schon – wie es unser perigurdinisches Sprichwort besagt – allein vom Geruch des Bratens satt zu werden? Ich bedarf einer kräftigeren Kost und nahrhafteren Fleisches. Denn wenn ich mich bei der Liebe auch einigen Gefühlsregungen hingebe, so doch nie der Träumerei.«
Ha! dachte ich, hierin besteht der große Unterschied zwischen diesem berühmten Mann und mir! Denn ich gebe
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