Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Menschen zu bessern – also Carima ebensowenig wie die Gouvernante seiner Tochter.
»Lasset uns nun zu Eurer Angelegenheit kommen«, sprach er, das Auge schließlich von seiner Katze abwendend und auf mich richtend.
Ich berichtete ihm treulich, ohne etwas zu verblümen noch hinwegzulassen, in allen Einzelheiten von meinem Duell mit Fontenac, der Untersuchung durch Monsieur de la Porte, der Voreingenommenheit der Richter des Provinzialgerichts, von meiner Flucht als auch von meiner Absicht, die Gnade des Königs zu erbitten.
»O dieser Parteigeist!« sprach er, nachdem er mir aufmerksam zugehört. »Fortwährend verursacht er Mißhelligkeit im Staate, indem er verhindert, daß überall mit gleicher Waage gemessen werde. Diese Richter klagen Euch trotz eindeutiger Tatsachen im Glauben an einen einzigen Zeugen an, als gäbe es nicht den Rechtsgrundsatz:
Testis unus, testis nullus
1 , und obgleich dieser Zeuge zweimal höchst kläglich sein Zeugnis geändert.«
Selbigen Worten fügte er nicht, wie ich es erwartet, hinzu, daß er mein Gesuch an den König abfassen wolle, worum ihn mein Vater in seinem Brief gebeten. Und obgleich mich sein Stillschweigen sehr erstaunte, gab ich die Hoffnung auf seine Zusage nicht auf, da ich vermeinte, er wolle sich zuvor noch gründlicher bedenken, denn die Angelegenheit war nicht einfach für ihn: sollte er doch einen Hugenotten gegen die Fanatiker seines eigenen Lagers verteidigen.
Indes hatte eine Hausmagd vermeldet, das Mahl sei angerichtet, und wir begaben uns zu Tisch, nicht ohne daß Montaigne seine Frau Gemahlin entschuldigte: sie müsse das Zimmer hüten wegen eines Kopfschmerzes, welcher sie nur einmal im Monat, und zwar immer nur für einen Tag, plagte.
Dieses Mahl bei Monsieur de Montaigne wies einige recht erstaunliche Besonderheiten auf, dergestalt daß ich mich noch heutigentags daran erinnere. Das Brot war ohne Salz gebacken, die Speisen hingegen gar scharf gesalzen. Der Wein wurde zur Hälfte mit Wasser vermischt aufgetragen und ward nicht wie auf Mespech in Becher, sondern in Gläser eingeschenket, denn Montaigne liebte es, daß sich vor dem Trinken das Auge daran erfreue. Es gab weder Löffel noch Gabeln, so daß die Tischgenossen sich der Hand bedienen mußten, was dem Hausherrn gar sehr zum Nachteile gereichte, denn er aß mit solcher Hast und Eil, daß ich zweimal sah, wie er sich in die Finger biß. Fleisch und Fisch kamen wie bei uns das Wildbret auf den Tisch: abgelagert, daß sie streng rochen, was mir nur wenig zusagte, da ich auf Mespech gewöhnt war, sie in ihrer Frische zu mir zu nehmen, Es wurde ohne Tischtuch gespeist, doch bei jedem Gang brachte eine Hausmagd jedem eine weiße Serviette, an welcher sich Montaigne Mund und Hände abwischte, wonach sie voller Flecken war, denn er aß mit gar großer Gier, ob welcher Angewohnheit er sich auch entschuldigte.
Während des Mahles geschah es, daß ein Diener, welcher eine große Schüssel herantrug, über eine Unebenheit des Bodens stolperte und hinschlug, so daß die Schüssel in Scherben ging und die darin befindliche Speise sich über den Fußboden verteilte. Dies verursachte einen lauten Krach, welcher die Unterhaltung verstummen ließ, und indes der kleine Diener sich ganz verschämt und blaß erhob, kaum wagend, seinen Herrn anzublicken, sprach dieser mit gleichbleibender Stimme und ohne mit einer Wimper zu zucken:
»Jacquou, rufe unsere Margot herbei, daß sie die Reste hinwegräume, und trage den folgenden Gang auf.«
Und als Jacquou, aufs höchste erleichtert, den Saal verlassen, sagte ich Monsieur de Montaigne, wie sehr ich gelegentlich solcher Anlässe seine Philosophie bewunderte, denn obzwar auf Mespech niemand mehr die Peitsche zu kosten bekomme,so würde doch jemand, der in Ausübung seiner Pflicht einen Fehltritt tat, gehörig gescholten.
»Die Menschen, welche uns dienen, kosten uns weniger als unsere Pferde und Hunde und werden gleichwohl weniger gut behandelt. Es muß auch ein wenig Raum sein für die Unbesonnenheit eines Dieners. Soweit es unserem Respekt nicht abträglich, sollten wir ihnen gegenüber ein wenig mehr Nachsicht walten lassen. Läßt man nicht auch den Ährenlesern einen Teil der Ernte?«
Diese Worte riefen mir ins Gedächtnis, was Monsieur de La Boétie in meiner Gegenwart meinem Vater in betreff der Ernte auf Montaigne berichtet hatte: wenn eine Garbe auf dem Erntewagen aufging, so wollte der Schloßherr nicht, daß sie neu gebunden würde, denn die
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