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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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mich in der Liebe so sehr meinem aufwallenden Gefühl hin, daß ich schier das Essen, das Trinken und fast sogar das Leben vergessen könnte; und wenn meine Angelina fern von mir, überkommen mich endlose Träumereien, denen ich mich ganz überlasse.
    »Ihr seid also, Monsieur de Montaigne«, sprach ich, »kein Freund der reinen, ritterlichen Liebe?«
    »Ganz und gar nicht«, entgegnete er lächelnd, »wenn nichts darauf folgt. Man muß sich bei diesem Geschäft einige Vernunft und Besonnenheit bewahren. Man muß sein Vergnügen daran finden, doch darf man sich nicht darin verlieren. Die Liebe, Monsieur de Siorac, dürfte nie zu Tränen und Seufzern führen. Ihrem Wesen nach ist sie eine unterhaltsame, lebhafte und heitere Regung. Wenn man ihrer dergestalt pflegt, wie ich es tue, dann erachte ich sie der Gesundheit zuträglich sowie geeignet, einen lahmen Geist und Körper zu beleben. Und als Arzt verschriebe ich sie einem Manne häufiger denn jedes andere Receptum, auf daß er bis zu vorgerücktem Alter bei guten Kräften bleibe.«
    Oh gewiß! dachte ich bei mir, wie wahr ist das gesprochen! Man braucht nur meinen Oheim Sauveterre und meinen Vater in ihren reifen Mannesjahren einen mit dem anderen zu vergleichen, und man wird auf den ersten Blick erkennen, welchem von beiden seine ihm eigene Wesensart mehr zum Vorteilgereicht und ob nicht mein Vater, indem er mit Lust Bankerte zeugt, sein Alter um so viele Jahre verringert, wie Sauveterre das seine durch eine unbeugsame Tugend vermehret.
    Da wir beim Obst angelangt waren, trug Jacquou einem jeden eine Melone auf, welche weder ich noch Giacomi noch Samson gänzlich zu verzehren vermochten, so groß war sie, indes Montaigne, der solche Früchte höchstlich schätzte, noch eine zweite von gleicher Größe verlangte, nachdem er die erste verspeist hatte.
    »Die Ehe«, so fuhr Montaigne fort, sich Mund, Schnurr- und Kinnbart an einer Serviette abwischend, welche ihm die Hausmagd reichte, »die Ehe ist nur ein fades Vergnügen, was heißen will: das weder reizt noch brennt. Und wo kein Reiz und Feuer sind, ist auch keine Liebe mehr.«
    »Aber«, so erwiderte ich in dem Gedanken an meine Angelina, mit der ich mir nicht nur ein »fades Vergnügen« versprach, »kann man denn sein Eheweib nicht jene wonniglichen Liebeskünste lehren, welche die Sinneslust anfachen, erregen und steigern?«
    »Keineswegs!« entgegnete Montaigne mit abwehrend erhobenden Händen. »Hütet Euch, mein Herr, auf den ehrwürdigen Ehestand die Tollheiten der zügellosen Liebe zu übertragen! Fürchtet vielmehr wie Aristoteles, daß die Wonnen allzu wollüstiger Liebkosungen ein Eheweib der Unvernunft in die Arme treiben könnten! Und wenn sie darin unterwiesen werden muß, so soll es wenigstens durch eine andere Hand als die Eure geschehen.«
    Ha! dachte ich, hier irrt unser Weiser, obgleich er Aristoteles, die Kirche und die landläufige Meinung auf seiner Seite hat. Heiliger Himmel! ich soll Angelina nicht die wonniglichen Liebkosungen lehren, welche ich kennengelernt! Ich soll nicht ebenso für Ihr Vergnügen wie für das meinige sorgen! Und ich soll auf einen Rivalen warten, auf daß sie erfahrener werde!
    Ich schwieg jedoch, denn ich wollte nicht streiten mit diesem großen Geist, welcher, sobald er von der vorherrschenden Meinung abwich und seinem eigenen Sinn folgte, überfloß von neuen, verblüffenden Gedanken und diese aufs trefflichste auszudrücken verstand, indem er in sein Französisch bald lateinische Wendungen, bald Worte aus dem Perigurdinischen einflocht, so daß seine Rede – gleichermaßen gelehrt wie ungeschminkt,jedoch immer wohlklingend – das Ohr entzückte und den Verstand bereicherte.
    Indes mir diese Gedanken durch den Sinn gingen, schrie Montaigne, welcher gerade die letzte Scheibe seiner Melone verzehrte, unversehens auf und bewegte die Hand zum Mund.
    »Oh, Monsieur!« rief ich aus, »was gibt es?«
    »Nichts«, erwiderte Montaigne. »Da ich gemeiniglich gar hastig esse, habe ich mich auf die Zunge gebissen. Es ist nicht weiter schlimm, wiewohl es im Augenblick recht schmerzt. Nun, Monsieur de Siorac, Ihr seid also auf dem Wege nach Paris. Dort werdet Ihr große Annehmlichkeiten vorfinden«, setzte er hinzu, als hätte er beides, die ernste Ursache meiner Reise und das Gnadengesuch, welches mein Vater ihn aufzusetzen gebeten hatte, ganz vergessen. »Und wann gedenkt Ihr weiterzureisen?«
    »Gleich morgen, Monsieur de Montaigne.«
    »Was!« rief Montaigne aus, »Euer

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