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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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folgen würde.
    »Was sagen will«, setzte er nach einer kleinen Pause hinzu, »daß ich Katholik bin und mich zur Messe bekenne.«
    »Monsieur de Montaigne«, hub darauf Samson an, in seiner Geradlinigkeit mehr Mut zeigend, als Giacomi und ich je gewagt hätten, »Ihr bekennet Euch zur Messe, doch kann man sagen, daß Ihr zur Messe gehet, wenn Ihr doch Euer Bett nicht verlasset?«
    »Aber ich höre sie!« sprach Montaigne mit einem gar feinen Lächeln. »Und ist nicht das Hören der Messe die höchste Pflicht eines Katholiken?«
    Nach diesen Worten stieg er die Turmtreppe hinab und überquerte, uns vorangehend, einen wohlgepflasterten großen Hof, um uns sodann in den Empfangssaal zu führen, welcher mir überaus reichlich mit Möbeln, Tapetenbehängen und Teppichen ausgestattet schien. Kaum hatten wir jedoch Platz genommen, trat eine Hausmagd ein und fragte auf okzitanisch, ob er das Fräulein Tochter und die Gouvernante derselben zu empfangen geruhe. Er bejahte und sprach, nachdem die Jungfer wieder hinausgegangen:
    »Möge es Euch gefallen, Messieurs, mir zu verstatten, unser Gespräch durch diesen Besuch zu unterbrechen, welcher in meinem Haus ein tägliches Ritual ist. Ich habe drei oder vier Kinder in zartem Alter verloren, nicht ohne Trauer, doch auch ohne allzu großes Aufbegehren gegen das Schicksal, und Léonor ist die einzige, welche mir von dieser Nachkommenschaft verblieben. Meine Liebe zu ihr ist dementsprechend groß. Sie wird gleich vor Euch erscheinen, und ich bitte Euch, ihr nachzusehen, daß sie noch von sehr kindischem Wesen. Denn obzwar sie bereits das Alter hat, da die Gesetze den Allerhitzigsten die Heirat gestatten, ist sie von noch gering entwickelterGemüts- und Leibesbeschaffenheit, schmächtig und weichmütig, und beginnt kaum, die Torheiten des Kindesalters abzulegen.«
    Da er solcherart seine Rede geendet, trat Léonor ein, gefolgt von einer vertrockneten Alten mit sauertöpfischer, verkniffener Miene, welche uns argwöhnisch ansah, als ob ihr Schützling nicht die Augen auf uns setzen könne, ohne Schaden an ihrer Seele zu nehmen. Léonor hingegen lief zu ihrem Vater und hielt ihm die blasse Wange zum Kusse hin, worauf sie sich mit gesenkten Lidern gegen uns wendete und einen linkischen Kratzfuß vollführte, denn ihr Leib war – ganz im Gegensatz zu ihres Vaters Bibliothek – von höchst eckiger Beschaffenheit, die Glieder wenig fleischig und die Brust platt wie eine flache Hand; das Gesicht jedoch trotz seiner Magerkeit recht lieblich und die Augen strahlend.
    Die Gouvernante, deren Lippen so weit nach innen gezogen waren, daß sie kaum sichtbar, zumal ihr auch noch ein Teil Zähne zu fehlen schienen, begann über Léonors Tun und Treiben an jenem Tage einen Bericht, welcher mir törichter und einfältiger dünkte, als ihr Zögling es in seinen kindischsten Anwandlungen je zu sein vermochte, und welchen Herr de Montaigne unter Kopfnicken anhörte oder anzuhören schien, derweilen sein Auge – nicht ohne eine gewisse Rührung, wie ich befand – allein auf Léonor gerichtet blieb.
    »Es ist gut«, sprach er schließlich. »Beginnet nun mit dem Lesen, Léonor.«
    Die Gouvernante reichte ihr ein gar dickes Buch, und Léonor, nachdem sie dieses nicht ohne Müh und Schwierigkeit auf ihre Knie gelegt und an der mit einem Buchzeichen versehenen Seite geöffnet, begann mit einer recht leisen Stimme, nicht ohne Zögern und Stocken den Text vorzulesen, welcher in französischer Sprache abgefaßt, worin Zweck und Schwierigkeit der Sache zu bestehen schien. Wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, war die Rede von einem Müller, und Léonor stieß beim Lesen auf das Wort »Metze«, was hier als Maß des Mehles oder Getreides zu verstehen war.
    »Mein Fräulein«, sprach da unvermittelt die Gouvernante in hartem Ton, als wolle sie die arme Kleine schelten, »sagt dieses Wort nicht! Es ist höchst unziemlich und schickt sich nicht für die Lippen einer jungen Maid.«
    »Was soll ich dann tun?« fragte Léonor naiven Tones. »Es steht zweimal in dem Satz.«
    »Überspringt es beim Lesen.«
    »Wie? Zweimal?« sprach Léonor, welche vielleicht mehr Geist hatte, als es schien.
    »Zweimal!«
    So begann sie die bereits gelesene Zeile nochmals von vorn und las sie auf folgende Weise:
    »Ein Bauersmann hatte mehrere hmm Mehl bei einem Müller mahlen lassen, und als er sie abholen kam, verlangte der eine ganze hmm als Lohn.«
    Danach ging die Lektüre, ohne daß Herr von Montaigne auch nur ein Wort

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