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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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»Vielleicht ist er unter einem anderen Namen eingetragen.«
    Der Gildeälteste hob die Augenbrauen. »Drei Namen?«
    »Ja.«
    »Ein merkwürdiger Mann. Daran müsste ich mich erinnern. Dinio?«
    Der Junge konsultierte noch einmal die Aufzeichnungen. Als er diesmal flüsterte, hatte er offenbar mehr zu sagen.
    »Auch die anderen beiden Namen sind nicht verzeichnet«, erläuterte Ouam dann. »In den letzten drei Jahren gab es überhaupt nur eine einzige Hinrichtung wegen Frevelei.«
    »Und wie ist der Name?«
    »Es war eine Frau.«
    Wasra überlegte. »Erfahrt Ihr es, wenn in irgendeiner Stadt jemand wegen Frevelei oder Ketzerei hingerichtet wird?«
    »Manchmal. Nicht immer.«
    »Was ist mit Euren Verliesen? Habt Ihr Gefangene?«
    Ouam nickte. »Ja, einen.«
    »Einen Mann?«
    »Ja.«
    »Ich will ihn sehen«, forderte Wasra. Am liebsten hätte er hinzugefügt, dass er bereit war, das ganze Gildehaus in Schutt und Asche zu legen, um zu erreichen, was er wollte.
    Aber es war nicht nötig zu drohen. Ouam nickte bereitwillig und sagte: »Dinio wird Euch führen.«
    Die Verliese lagen im entlegensten Teil des Gildehauses. Dinio führte sie elende, enge Treppen abwärts, das Buch mit dem Verzeichnis der Hinrichtungen und Gefangennahmen an sich gepresst wie einen Schatz. An den Wänden bröckelte braunfleckiger Putz, und je tiefer sie kamen, desto durchdringender wurde der Gestank nach Urin und Fäulnis und Krankheit. Irgendwann nahm der Junge eine Fackel und zündete sie an, und Stribat hatte die Lampe eingeschaltet, die er vor der Brust trug.
    Schließlich erreichten sie das erste große Gitter, das von einem bleichen, aufgedunsenen Kerkermeister bewacht wurde. Er starrte ihnen mit dumpfem Blick entgegen, und falls ihn der zahlreiche Besuch wunderte, war es ihm jedenfalls nicht anzumerken.
    Dinio befahl ihm, den Zugang zu den Verliesen aufzuschließen, und Wasra ließ zwei Soldaten der Eskorte zur Bewachung des offen stehenden Gitters zurück.
    Es ging einen düsteren Gang entlang, erhellt nur von den Fackeln, die im Vorraum brannten. Rechts und links standen die Türen zu unbesetzten Verlieszellen offen. Stribat ließ seine Lampe wandern. In jeder Zelle hing ein großes, farbiges Bild des Kaisers. Die Gefangenen wurden jeweils an der gegenüberliegenden Wand angekettet, außer Reichweite des Bildes, und die Gnade völliger Dunkelheit wurde ihnen verwehrt: Durch vergitterte Entlüftungsschächte drang gerade so viel Licht von oben herein, dass sie ihre Zeit damit verbringen mussten, das Bild des Kaisers anzustarren.
    Dinio und der fette Kerkermeister, der noch unangenehmer stank als das verrottete Stroh, das den Boden bedeckte, waren vor der einzigen besetzten Zelle stehen geblieben. Stribat leuchtete durch die Luke in der Tür. Sie sahen eine dunkle Gestalt mit langem Haar, die zusammengekrümmt am Boden lag, die Arme an die Wand gekettet.
    »Aufschließen«, befahl Wasra grimmig. »Und kettet ihn los.«
    Der Mann wachte auf, als sich der Schlüssel im Schloss drehte. Als die Tür aufschwang, saß er schon aufrecht und sah ihnen ruhig entgegen. Sein Haar schimmerte weiß wie Silber, und Stribats Lampe enthüllte, dass der Gefangene viel zu alt war, um Nillian sein zu können.
    »Kettet ihn los«, wiederholte Wasra. Der Kerkermeister zögerte. Erst als Dinio nickte, zog er die Schlüssel hervor und öffnete die Handschellen des alten Mannes.
    »Wer seid Ihr?«, fragte Wasra.
    Der Mann sah ihn an. Trotz aller Verwahrlosung strahlte er Würde und eine friedvolle Stille aus. Er musste ein paar Mal ansetzen, ehe er ein Wort herausbrachte; offenbar hatte er seit Jahren nicht gesprochen. »Mein Name ist Opur«, sagte er. »Ich war einmal ein Flötenmeister.«
    Damit sah er traurig hinab auf seine Hände, die grotesk verstümmelt aussahen. Irgendwann einmal musste jeder einzelne seiner Finger gebrochen gewesen sein, und alle Brüche waren irgendwie, ohne Schiene und ohne Behandlung, wieder zusammengewachsen.
    »Was hat er getan?«, wollte Wasra wissen.
    Der Kerkermeister, den er dabei ansah, glotzte nur blöde, und an seiner Stelle antwortete der Junge mit kalter Herablassung: »Er hat einem Deserteur bei sich im Haus Unterschlupf gewährt.«
    »Einem Deserteur?«
    »Ein kaiserlicher Schiffer. Ein Verlader der KARA, des letzten Schiffes, das hier landete.«
    Das musste das Schiff gewesen sein, das sie vor drei Jahren als Erstes verfolgt hatten. Um es zu verlieren und die nächste Welt zu entdecken, auf der die Menschen

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