Die Haarteppichknüpfer - Roman
Haarteppiche knüpften und glaubten, sie seien die Einzigen. »Was geschah mit dem Deserteur?«
Dinios Gesichtsausdruck blieb abweisend. »Er ist immer noch flüchtig.«
Wasra betrachtete den Jungen einen Moment lang nachdenklich und überlegte, welche Position er wohl bekleiden mochte. Dann entschied er, dass ihn das nicht wirklich interessierte, und wandte sich dem Gefangenen zu. Zusammen mit Stribat half er ihm aufzustehen und erklärte ihm dann: »Ihr seid frei.«
»Nein, das ist er nicht!«, protestierte Dinio wütend.
»Er ist frei!«, wiederholte Wasra scharf und warf dem Jungen einen so drohenden Blick zu, dass dieser zurückwich. »Noch ein Wort dagegen, und ich lege dich übers Knie und prügle dich windelweich.«
Er übergab Opur in die Obhut von zwei Soldaten seiner Eskorte, denen er auftrug, ihn zum Schiff mitzunehmen, um ihn medizinisch behandeln zu lassen, und ihn dann an einen Ort seiner Wahl zu bringen. Falls er sich auf diesem Planeten nicht sicher fühlen sollte, war Wasra entschlossen, ihn mitzunehmen zur nächsten Haarteppichknüpferwelt, die sie anfliegen würden.
Dinio verfolgte den Abmarsch der Soldaten und des Flötenmeisters mit zornigem Schnauben, wagte aber nichts mehr zu sagen. Stattdessen nahm er sein Buch unaufhörlich von einem Arm in den anderen, als wisse er nicht, wohin damit, und presste es sich schließlich vor die Brust wie einen Schild. Ein kleines weißes Etwas rutschte dabei aus den Seiten und segelte sanft zu Boden.
Wasra bemerkte es und hob es auf. Es war eine Fotografie, die den Kaiser zeigte.
Den toten Kaiser.
Der Kommandant starrte das Bild verblüfft an. Er kannte dieses Bild. Er hatte genau das gleiche Bild in der Tasche. Jeder Angehörige der Rebellenflotte trug eine Fotografie des toten Kaisers bei sich, für den Fall, dass er in die Situation kam, jemandem beweisen zu müssen, dass der Kaiser tatsächlich gestürzt und tot war.
»Woher hast du das?«, fragte er den Jungen.
Dinio setzte sein störrischstes Gesicht auf, umklammerte sein Buch noch fester und sagte nichts.
»Das muss Nillian gehört haben«, meinte Wasra zu Stribat und hielt die weiße Rückseite der Fotografie in den Lichtkegel von dessen Brustlampe. »Tatsächlich. Siehst du das?«
Die Schrift auf der Rückseite war abgegriffen und verwischt und so blass, dass sie fast nicht mehr existierte, aber an einer Stelle konnte man sich einbilden, die Silbe Nill zuerkennen. Wasra sah Dinio an, mit einem Blick, der Bäume zu fällen und Kinderschädel zu spalten versprach. »Woher stammt dieses Bild?«
Dinio schluckte unbehaglich und brummte schließlich: »Ich weiß es nicht. Es gehört Ouam.«
»Ouam wird es doch wohl kaum von irgendeiner Wanderung mitgebracht haben.«
»Ich weiß nicht, woher er es hat!«
Wasra und Stribat wechselten einen Blick, und es war fast wieder wie früher, als jeder wusste, was der andere dachte.
»Es interessiert mich«, meinte der Kommandant dann, »was uns Ouam dazu zu erzählen weiß.«
Auf dem Rückweg hörten sie unheimliche, klagende Laute durch die düsteren Gänge des Gildehauses hallen, und unwillkürlich beschleunigte sich ihr Schritt. Als sie die Treppe zu den Gemächern des Gildeältesten hinaufstiegen – hastig diesmal, nicht ehrerbietig -, erwartete sie kein Rauch und kein glutrotes Dämmerlicht mehr, sondern strahlende Helligkeit und klare Luft.
Der Raum war wie verwandelt. Ein Mann ging langsam von Fenster zu Fenster und stieß die Läden auf, und immer neue Kaskaden blendend hellen Lichts brachen herein. Durch die offenen Fenster sahen die Haarteppiche aus wie ein wogendes Meer, das gegen die Fensterbrüstung brandete.
Das Feuer in dem metallenen Dreifuß war gelöscht, und Ouam lag tot in seiner Liege, die blinden Augen geschlossen, die dürren Hände vor der Brust gefaltet. Die Liege war kleiner, als Wasra sie in Erinnerung hatte, und trotzdem wirkte der uralte, knochige Leichnam des Gildeältesten darin kaum größer als ein Kind.
Hinter den beiden Raumfahrern kamen Leute der Gilde die Treppe heraufgeschlurft. Sie umrundeten die beiden Fremden desinteressiert, ließen sich an der Liege des toten Ouam nieder und stimmten ein verhaltenes Wehklagen an. Ein Echo dieses Wehklagens kam durch die Fenster von draußen herein und breitete sich aus, im ganzen Gildehaus, in der ganzen Stadt. Auch der Mann, der die Fensterläden geöffnet und damit vertrieben hatte, was der Rauch und der Gestank von Jahren gewesen sein musste, gesellte sich zu den
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