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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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verwelkten Rosenstrauß, den er ihr vor einer Woche mitgebracht hatte. Es war leicht, sich nach einem Streit zu versöhnen, sie aber stritten nicht miteinander, und wo man schwieg, gab es keine Versöhnung. Er hätte sie gerne gefragt, warum sie einander fremd wurden, allerdings war er nicht sicher, ob er sich nicht nur einbildete, daß sie einander in Berlin näher gewesen waren. Vielleicht war es nur eine veränderte Entfernung, vielleicht war sie mit etwas beschäftigt, über das sie nicht sprach, und er dachte an den Lärm der Nachbarn, den er nachts einmal gehört hatte. Still hielt er sich in ihrer Nähe und schaute sie an, als könnte er ihrem Gesicht ablesen, was zu tun sei. Er wollte ihr von Miriam erzählen, wenn sie ihm nur ein Zeichen gab, er wollte gutmachen, was er versäumt hatte. Isabelle saß an ihrem Tisch, über die Grundrisse des künftigen Büros in der Potsdamer Straße gebeugt. –Von der Wartburgstraße ist man in zehn Minuten da, mit dem Fahrrad, sagte sie. Sie hob den Kopf und lächelte. Man las, dachte er, Gesichter nicht mit bloßem Auge, ohne daß sich Erwartung und Mißtrauen hineinmischten, nie begnügte man sich mit dem Anschein, immer wollte man hin zum Mittelpunkt, doch vielleicht war das die falsche Richtung. Er lachte. Dieser winzige Punkt, nicht einmal stecknadelkopfgroß, um den erbittert stritt, was Mittelpunkt sein wollte. Isabelle sah ihn fragend an. –Ich dachte, was für eine bizarre Idee das ist: ein Mittelpunkt, wenn der mittelste Mittelpunkt doch keine Ausdehnung haben darf.
    –Wolltest du oder sollte ich der Mittelpunkt sein? fragte Isabelle.
    –Eben nicht, sagte Jakob, weder du noch ich, weder Berlin noch London.
    –War es je anders? sagte Isabelle kühl und wandte sich wieder dem Grundriß zu.
    Und andererseits, dachte er, als er schon im Bett lag, konnte es ohne Mittelpunkt keine Umlaufbahn geben. Er lauschte ins Erdgeschoß, wo Isabelle noch saß; zwischen ihnen lag aber ein Stockwerk, und trotz der offenen Türen ließ sich nichts hören. Als er schon beinahe eingeschlafen war, bildete er sich ein, einen dumpfen Aufprall zu hören. Aber das kann nicht sein, sagte er sich; dann blieb es still, und er schlief ein.

32
    Sie gingen in ein Cafe´, aber das war nicht das Richtige, sie spazierten Richtung Kanal und den Kanal entlang bis zur Voliere, Jim hatte feuchte Hände und versuchte sie zu küssen; sie fühlte sich wie ein Teenager. Als sie die Voliere erreichten, brach er in Tränen aus, es war so unangenehm und lächerlich, daß sie sich hilfesuchend umdrehte, als könne Jakob überraschend auftauchen, ihr zu helfen. Aber Jim, noch Tränen in den Augen, packte sie an den Schultern, lachte sie aus, er zog sie an sich, und sie gehorchte. –Magst du sie nicht, die Schwachen? Er stieß sie ein Stück zurück, hielt sie an den Armen fest, fing an, ihr etwas zu erzählen, eine Geschichte, sagte er, eine wahre Geschichte, vom Blumenmädchen und vom verräterischen Prinz, doch sie konnte kaum folgen, er merkte es, redete noch schneller, sie wußte nicht, ob das Cockney war, er provozierte sie, zog sie an den Haaren, dann hob er sie hoch und trug sie, die mit den Beinen strampelte, bis an den Kanal, hielt sie übers Wasser, als wollte er sie gleich hineinfallen lassen. –Kommst du mit zu mir nach Hause? fragte er, fragte wieder und wieder, lachte, setzte sie behutsam ab und küßte sie zärtlich auf die Schläfe. –Siehst du, sagte er plötzlich ernst, auf dich habe ich gewartet, mein Leben lang. Er nahm ihre Hand, legte sie auf sein Herz, dann zog er das T-Shirt über den Kopf und blieb mit nacktem Oberkörper vor ihr stehen. Sein glatter, kräftiger Brustkorb war blaß, die Adern zeichneten sich im hellen Sommerlicht überdeutlich ab, Jim sah es auch. –Ich bin der Winter, ich bin der Tod, sagte er, ohne sich zu rühren, du mußt mich ins Leben küssen. Seine Blöße schockierte sie, auf der Brücke, die vom Zoo über den Kanal in die Voliere führte, standen Leute, gleich würden sie applaudieren, dachte Isabelle, als Jim vor ihr auf die Knie sank. –Sag nicht, daß du dich schämst, flüsterte er ihr zu. –Komm, küß mich, hier, vor allen. Sie beugte sich vor, ratlos, es war heiß, der Wind sehr warm, ihr schien, als hätte sie kein eigenes Gewicht, doch registrierte ihr Gehirn weiterhin wie ein nimmermüdes Auge jede Bewegung; sie wollte sich aufrichten, er ließ sie nicht. Er liebte sie nicht, er log. Seine Lippen glänzten, er lächelte. –Küß mich,

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