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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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wiederholte er, ich gebe dir noch eine Minute.
    Zwei Stunden später waren sie noch immer nicht bei ihm zu Hause, sie wurde müde, sie hatte die Orientierung verloren, nur daß sie nach Osten liefen, konnte sie dem Stand der Sonne ablesen, es war bald sechs Uhr. Sie hatte den ganzen Nachmittag nichts getrunken, aber sie traute sich nicht, Jim um eine Pause zu bitten, und er lief weiter, hielt ihre Hand fest in seiner, lief ein Stückchen vor ihr, er zog sie fast. Als er schließlich stehenblieb – sie hoffte, die Straße zu erkennen, doch war das nicht der Fall –, stolperte sie. Jim stellte sich vor sie hin, die Hände in den Hosentaschen. –Woher soll ich wissen, ob ich dir trauen kann? sagte er plötzlich. Dann drehte er sich um und ging davon, sie starrte hinter ihm her, ohne Erstaunen und ohne Wut, sie war zu müde, sie wollte wissen, wo sie war und wie sie nach Hause kam. Die Häuser sahen aus wie sozialer Wohnungsbau aus den siebziger Jahren, dann kamen kleinere, einzeln stehende Häuser, rosa, gelb und hellblau gestrichen, sie lief mechanisch weiter, um eine größere Straße oder U-Bahn-Station zu erreichen; in einem der kleinen Häuser sah sie durch ein offenes Fenster eine Frau in der Küche stehen, sie hätte nur zu rufen brauchen, aus einem anderen Fenster verbellte sie ein Hund. Es war aber nicht weit, sah sie, sie waren in einem Bogen wieder Richtung Kentish Town gelaufen, und als sie die U-Bahn-Station erreichte, wo Jim sie ein paar Stunden zuvor abgefangen hatte, blieb sie stehen. Der Gemüsehändler, der seinen Stand dort hatte, packte eben zusammen, er rief ihr einen Gruß zu, sie dachte, daß sie einkaufen müßte, für Jakob, für zu Hause, für ein weiteres Abendessen, das ihr ebenso schal wie tröstlich schien, ein leerer Abend, ohne Fernsehen, weil sie beide keine Lust gehabt hatten, in London vor dem Fernseher zu sitzen – so, als wären sie Besucher, denen die Zeit kostbar war. Die Zeit war aber nicht kostbar, hier ebensowenig wie in Berlin. Sie kaufte Kartoffeln, Petersilie und Schnittlauch, der Gemüsehändler hatte unterhalb des rechten Auges eine Narbe, die sie an etwas erinnerte; was es war, fiel ihr nicht ein. Unruhig schaute sie nach rechts und links, ob Jim vielleicht käme. Der Gemüsehändler bemerkte ihren Blick, er sagte etwas, während hinter ihr Leute aus der U-Bahn-Station vorbeidrängten, dicht an dicht, und sie verstand nicht, was er sagte, sie wußte nicht, was Jim gemeint hatte, warum er ihr nicht traute und was sie ihm beweisen sollte. Der Händler stand plötzlich mit einem Sprung neben ihr und stieß jemanden schimpfend zur Seite, sie hielt eine Zehn-Pfund-Note in der Hand, er grinste frech, streifte ihre Brust und zählte langsam das Rückgeld ab. Dann gab er ihr eine Avocado, weil sie bildhübsch aussehe, sagte er grinsend.

    Sie stand vor dem Haus, näherte sich dem Fenster, aus dem schwacher Lichtschein drang, als sie aber durch die Scheiben blickte, sah sie sich selbst, vor dem Haus, ihr eigenes Gesicht, das sich der Scheibe näherte, mit den Händen rechts und links das Tageslicht abschirmte, und während sie ihre eigene Gestalt kalt musterte, wußte sie, daß sie träumte. Auf ihr Klingeln öffnete niemand, sie fühlte sich billig, sie wußte, daß sie ihm nachlief, würdelos, aber sie sehnte sich so sehr nach ihm, daß sie dort blieb, vor dem Haus, bis eine Stimme aus einem der oberen Stockwerke sie aufschreckte, und dann rannte sie, durch eine dieser Straßen, die sich so allmählich krümmten, daß man die Biegung immer erst im nachhinein spürte, sie hetzte an den imposanten, grauen Fassaden vorbei. Das ist doch die Regent’s Street, dachte sie, und dann war sie im Park, weite Grasflächen waren abgesperrt, weil dort frisch ausgesät war, erklärte ihr ein alter Mann, der eine Taube in der Hand hielt, aber sie sah genau, daß das Gras dicht und hoch wuchs. Durch das Gras näherte sich eine Katze, und Isabelle ging langsam davon, als könnte sie die Katze täuschen, sie wußte, daß sie aufwachen und nackt sein würde, in einem Zimmer, das hell beleuchtet war, sie bedeckte mit den Händen ihre Scham. Als sie aufwachte, fand sie sich aufgerichtet im Bett, ihr Unterhemd schweißnaß. Jakob war längst fort. Von der Straße hörte sie Lärm, als sie zum vorderen Fenster ging, sah sie ein kleines Baufahrzeug hin- und herfahren, dort, wo vor ein paar Tagen schon der Asphalt aufgebrochen worden war, daneben stand eine Betonmischmaschine, die sich drehte. Die

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