Die Habenichtse: Roman (German Edition)
Gedanken auszukennen, brummte etwas, das auf Nachsicht hindeutete. –Mit mir sollen Sie jedenfalls nicht ringen, der Engel bin ich ja nicht. Seine Arme, eingezwängt in den Ärmeln des Jacketts, die kurzen, beweglichen Hände lagen jetzt ruhig auf dem Tisch zwischen ihnen, und Jakob nickte dankbar, hob endlich die Augen und fand Benthams Blick. Er spürte die Sekunden langsam verstreichen, als wäre auf seinem Herz ein Sekundenzeiger angebracht, jede einzelne eine winzige Bewegung des Erinnerns, vorweggenommen, aufbewahrt und endlich ohne Furcht, sie könnten sich mißverstehen. Er fühlte, daß er noch einmal errötete, wußte, daß diesmal Bentham nichts dazu sagen würde, bemerkte auch, daß er anfing zu zittern, alle Kräfte anspannte, ihm war, als würde er wie ein Handschuh von innen nach außen gestülpt. Aber wie geht es weiter, wie werde ich es ertragen, dachte er, und wie leicht es mit Isabelle war, wo die vorgezeichneten Schritte das Geständnis von Liebe ersetzt hatten.
Es waren bis zur Kanzlei nicht mehr als fünf Minuten, Maude öffnete ihm die Tür, er nahm Isabelles und Alistairs Nachricht entgegen, lief kurz hinauf in sein Büro, die Schlüssel und einen Pullover zu holen, und da er sich unfähig fand, die angegebene Adresse aus eigener Kraft zu erreichen, hielt er ein Taxi an. Ausgestiegen, sah er nach wenigen Schritten schon Isabelle und fand seine Befürchtung, daß er ihr kühl entgegentreten könnte, widerlegt. Sie kam auf ihn zugesprungen und fiel in seine Arme, und er hielt sie gerne fest . Bengal’s Secret , das Restaurant, in dem Alistair sie erwartete, war nicht weit, und dankbar registrierte er, daß Alistair die Führung übernahm, bestellte, ihn ohne viel Fragerei essen ließ, er sah, daß Alistair seinerseits müde war.
Sie ging kaum aus dem Haus, sie schien die meiste Zeit zu arbeiten, traf keine Verabredung mit Alistair, mochte abends nicht ausgehen, es war, als wollte sie auf Jakob Rücksicht nehmen, denn er ging früh zu Bett, auch wenn er lange nicht einschlief, von unten hörte er manchmal eine Tür oder ein Fenster, das nach oben oder unten geschoben wurde; er war froh über Isabelles Anwesenheit, froh alleine zu liegen. Aus Feigheit hatte er, als Alistair vor Isabelle kniete, den Kopf zwischen ihren Schenkeln, ihm signalisiert zu gehen, sie hatten sich an der Tür mit einem Kuß verabschiedet, Alistair hatte beruhigend und zärtlich Jakobs Haar gestreichelt, jetzt bereute Jakob, daß er ihn fortgeschickt hatte. Mittags war Alistair einmal in sein Büro gekommen, hatte sich auf die Truhe gesetzt, einen Taschenspiegel aus dem Jackett gezogen und sich aufmerksam darin betrachtet. Dann war er zu Jakob getreten, der am Schreibtisch saß, und hatte ihn auf die Haare geküßt und umarmt. –So hübsch, hatte er gesagt, sind wir beide nicht mehr; er hatte gebrummelt, Bentham imitiert, Jakobs Schläfe gestreichelt und war wieder gegangen. Bentham kam nicht in die Kanzlei, Maude kommentierte es genausowenig wie sonst, um Bentham schien sie sich diesmal nicht zu sorgen, Jakob aber brachte sie manchmal ein Stück Kuchen oder Obst oder eine Tasse Tee ins Zimmer. Tagsüber war zuviel zu tun, als daß er Zeit zum Grübeln gehabt hätte. Eine englische Investitionsgesellschaft interessierte sich für den Ankauf mehrerer Wohnblöcke im nördlichen Prenzlauer Berg. Die Gleise der zum Verkauf stehenden Eisenbahngesellschaft waren in desolatem Zustand. Millers Fall entwickelte sich gut, er war bei Sahar gewesen und berichtete, sie habe ihm geweissagt, daß er etwas, das mit Wasser zu tun habe, verlieren werde – das Seegrundstück folglich, und so schlug er selbst eine Entschädigung vor, eine Summe, die dem Gegner akzeptabel schien und groß genug war, die Villa in Treptow zu renovieren. –Bentham findet das sinnlos, ich weiß, sagte Miller. Ich bin zu alt, nach Berlin zu ziehen, ich würde das Haus für mich umbauen und am Ende doch verkaufen. So ist es, wenn man keine Kinder hat. –Aber Bentham hat auch keine Kinder, hatte Jakob eingewendet. –Natürlich nicht; er hat den jungen Mann hier, Ihren Kollegen, und dazu mehr Mut als ich. Für einen alleinstehenden Menschen ist der Ablauf der Zeit am Ende widersinnig. Zeit ist, daß Kinder groß werden und ihrerseits Kinder bekommen – oder die ziemlich nackte Tatsache, daß es Tage und Stunden gibt und daß man stirbt.
Zweimal rief Hans im Büro an, sie sprachen darüber, im Herbst gemeinsam wandern zu gehen; Jakob dachte, daß sie es nicht
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