Die Habenichtse: Roman (German Edition)
flatterte, und er wußte genau, wie sie aussah, ihre Hüften und ihre Brüste, obwohl er ihr Gesicht noch nicht gesehen hatte, und manchmal glaubte er, daß Mae tot war. Daß sie sich über ihn lustig machte. Die Stimmen, die Toten. Es war nur eine Täuschung gewesen, wie ein Tier, dessen Farbe sich der Umgebung anpaßt. –Wisch das Bier auf, sagte er zu Dave. –Ich könnte etwas zu essen holen? Dave sah ihn hoffnungsvoll an. –Ich könnte aufräumen, etwas zu essen holen? –Von meinem Geld? spottete Jim. Dave wurde wieder rot. –Nein, sagte er, das habe ich nicht gemeint.
Zwei Stunden später lag Dave auf dem Sofa und schlief, die Wolldecke mit beiden Händen festhaltend, das Gesicht ruhig und gerötet. Wachte nicht auf, als Jim den Fernseher anstellte, wieder abschaltete, hinausging und die Tür hinter sich abschloß. Gegen Morgen kam er zurück, Dave hatte tatsächlich aufgeräumt, nachts, in seiner Abwesenheit, und um sieben Uhr ging er.
Der Mann aus Nummer 49 – Dave hatte gesagt, es seien Deutsche – ging vorbei, rotblond, gepflegt und kräftig, einer von denen, die nach dem Einkaufen die Brieftasche so nachlässig einsteckten, daß es nicht einmal Spaß machte, sie zu stehlen, kräftig, gepflegt, und trotzdem sah man, daß er Sorgen hatte. Vielleicht wegen des Kriegs, der nachts angefangen hatte, mit Bomben auf Bagdad, keine Bodentruppen, einen Tag später dann, es war Frühlingsanfang, doch Bodentruppen, und Jim ließ den Fernseher laufen, obwohl er sich darüber ärgerte, weil es ihn nichts anging. Mae hatte es gehaßt, wenn er morgens schon den Fernseher einschaltete, eine dieser Sachen, bei denen sie irgendwelche Prinzipien hatte, zusammen essen, zusammen am Tisch sitzen und essen und keine Schimpfwörter benutzen, als hätten sie Kinder, Kinder mit einer vielversprechenden Zukunft, und sie mochte es nicht, wenn er darüber lachte und sich beim Essen eine Zigarette ansteckte und rauchte. Er lag vor dem Fernseher, rauchte. Ein Heizkörper tropfte, und dann fing der Fernseher an zu flimmern. Triumphierend die Lichter der Treffer, wenn es Treffer waren. Von der Eingangstür blätterte die Farbe. Man sah nicht die Bilder einer zerstörten Stadt, keine weißen Fahnen. Angeblich war Saddam tot, dann lebte er doch. Angeblich kaum Tote, vier oder fünf Tote? Mae hatte gesagt, daß es kaum noch Spatzen gab, kaum noch Spatzen, wo immer sie abgeblieben sein mochten. Im Garten hüpften kleine, gelbliche Vögel, abends sang auf der Mauer eine Amsel. Das Gras wuchs, an der Mauer gab es Osterglocken, er malte sich aus, wie Mae sich bückte, das Gras kurz schnitt, Blumen pflanzte. Die Vögel hatten keine Angst. Mae drehte sich um und lachte ihm zu. Was mit den Sachen aus ihrer Wohnung passiert war, wußte er nicht. Der Fernseher? Klappstühle, die sie gekauft hatten? Sogar ein Sonnenschirm, weil sie nach Brighton fahren wollten?
Der Notfall wurde in einer Station der Circle Line geprobt, die sowieso geschlossen war, und da bot es sich an, war es die Chancery Lane? Aber die Lichter waren ausgefallen, was eine Panik ausgelöst hatte, die medizinische Ausrüstung war zertrampelt worden und ein Arzt verletzt, das Licht war nicht wieder angegangen. Hisham rief Jim an, gab ihm eine Adresse in Holloway, sie würden ihm, sagte er, den ganzen Stoff abnehmen, Serben, Albaner, Zigarettenschmuggler, die hofften, ins Drogengeschäft zu kommen, bevor sie von einer rivalisierenden Bande erschossen wurden. Dave lief, gehorsam den Kopf abgewandt, vorbei.
Nach Holloway ging Jim zu Fuß, zwanzig Minuten lang, um an der verabredeten Straßenecke angesprochen zu werden, sie traten in einen Hauseingang, drei Männer warteten dort, höflich, in billigen, dünnen Anoraks, mit harten, gierigen Augen, und auf der Straße liefen zu stark geschminkte Frauen vorbei. Keine Engländer, dachte Jim. Schlagzeilen verkündeten, daß eine junge Frau erschlagen worden war, vermutlich mit einem Backstein, ohne daß irgend jemand etwas bemerkt hatte, obwohl es am hellichten Tag in einem Park geschehen war. Er ging in ein Pub, nicht weit von Archway, stand am Tresen, summte, das kleine, häßliche Summen, trank einen Schluck. Die Kellnerin musterte ihn aus den Augenwinkeln, aus dem hinteren Teil des Pubs hörte man das Klingeln eines Spielautomaten. Aber Jim hob den Kopf nicht, er summte, mit achtundzwanzig Jahren konnte er noch immer nicht pfeifen. Ein richtiger Junge pfeift, hatte sein Vater verächtlich gesagt. Die Kellnerin stützte sich auf den
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