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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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ersten Bomben. Vielleicht gab es die ersten Toten. Das Wetter war makellos.

23
    Jim sah, daß ihre Turnschuhe dreckig waren, der halblange Mantel, den sie nicht zugeknöpft hatte, da die Sonne schien, schlug gegen ihre Schenkel, kräftige, nicht allzu lange Schenkel, er bildete sich ein, das Geräusch zu hören, ein leises Flappen von Stoff. Sie lief vor ihm her. Etwas zu kräftige, aber hübsche Beine, die gleichmäßig auf- und niederfuhren, auf und ab, in Turnschuhen, in einem knielangen Mantel, mit nackten Waden, und die Sonne schien, als wäre jetzt wirklich Frühling. Bald ein Jahr, daß er in der Wohnung war. Es gab solche Straßen, in denen die Zeit nicht verging. Häuser standen da, wurden renoviert, vermietet, Bewohner zogen ein und zogen aus, und doch blieb alles, wie es war, ruhig, friedvoll. Er erinnerte sich, wie er die Wohnungstür mit Damians Schlüssel aufgeschlossen und alles vorgefunden hatte, als wäre es für Mae und ihn genau das richtige. Aber er hatte Mae mit Ben zurückgelassen, und die Sirene eines Krankenwagens hatte in seinen Ohren gegellt, während er losgelaufen war, wie Ben geraten hatte, sieh zu, daß du wegkommst. Mae hätte die Straße gemocht und den kleinen Garten, auch wenn es nur ein Streifen mit Gras war. Die junge Frau vor ihm blieb stehen, streckte die Hand aus, als wollte sie nach einer der Platanen greifen, deren Stämme aussahen wie gefleckte Tierhaut. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung, bog nach rechts ab. Ihr Rücken straffte sich, als hielte sie den Atem an. Jim summte ein paar Töne. Für einen Augenblick dachte er, daß er sie ansprechen könnte, er fühlte sich plötzlich leicht und voller Hoffnung, als wäre ein Fluch von ihm genommen. Sein Vater hatte geflucht, er hatte Jim verflucht, und in der Kirche, von alten Leuten wurde man verflucht, die eigenen Taten verfluchten einen, dachte Jim und summte, das Unrecht, die Strafe, die ausblieb, das, woran man sich nicht erinnerte. Man erinnerte sich nie, dachte er und blieb stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Sie hatten die Leighton Road erreicht und näherten sich Kentish Town Station, die Frau zog aus der Jakkentasche das gelbe Mäppchen für die Zeitkarte, schob sie in den Schlitz und passierte die Barriere. Eine dicke Person mit Einkaufstaschen drängte sich an Jim vorbei, die Rolltreppe, sah er, war außer Betrieb, man mußte links die Wendeltreppe benutzen. Die Dicke schimpfte, sie zog den Blauuniformierten, der aus seinem Glashäuschen kam, am Ärmel, es roch nach Kaugummi und billiger Seife, Jim schlüpfte ohne Fahrkarte durch die Barriere, die offenstand, der Luftzug aus dem Schacht war stickig, er sah die flachen Stufen, die sich um den Kern in die Tiefe drehten, das Geländer, das abgegriffen war, die gefliesten Wände. Hinunter. Außer dem Luftzug, der leise pfeifend aus dem Erdinneren kam, war nichts zu hören. Dort eilte die junge Frau die Stufen hinunter, lautlos in ihren Turnschuhen, behende. Jim preßte die Lippen zusammen, ihn schwindelte, er hatte das Gefühl, nur die Hand nach ihr ausstrecken zu müssen. Rannte die Wendeltreppe hinunter, in das gelb-grüne, matte Licht, schwitzte plötzlich, weil es eng war und beklemmend, –irgendwann werden sie einen Tunnel in die Luft sprengen, hatte Albert beharrt, du wirst sehen, wie das ist, wenn so ein Tunnel einstürzt und alle losbrüllen im Dunkeln. Ein alter Mann tastete sich vorsichtig am Geländer entlang, Jim überholte ihn, schneller, immer schneller lief er, war schon unten, sicher, daß sie in die Stadt, nach Süden fuhr, aber auch wenn er den Bahnsteig richtig wählte, könnte sie doch schon eingestiegen, abgefahren sein. Er stolperte, prallte fast gegen die Wand, noch eine letzte Biegung, sechs Stufen zum Bahnsteig. Da war er, spürte den Luftzug stärker werden, sah die Rücklichter, die digitale Anzeige klackerte. Er kannte nicht einmal ihr Gesicht. In der Luft war Staub, Geruch nach stikkiger Wärme, nach Ersticken, er verzog angeekelt den Mund, die Dicke näherte sich, der Alte, die Digitaltafel verkündete den nächsten Zug, Bank Branch.
    Dave stand trotz seines Verbotes eines Tages vor der Tür, in einem zu großen, verdreckten Anorak, mit einem Bluterguß, der unterm Auge verlief. Er war auf die Verachtung gefaßt gewesen, mit der Jim ihm öffnete, stand schuldbewußt da, aber dann winkte Jim ihn herein und holte aus dem Kühlschrank zwei Bier, knallte eins ärgerlich auf den Tisch vorm Sofa, bedeutete Dave, daß er sich

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