Die haessliche Herzogin
Gemüts stand, so hatte es ihn doch verdrossen, als er das Werk des Italieners von klugen und urteilsfähigen Männern sehr rühmen hörte. Der ehrsüchtige welsche Literat machte es sich leicht; er arbeitete mit sensationell aufgeputzten, auf starken Effekt hinzielenden Schilderungen, während er, der verantwortungsvolle Gelehrte, feilte, rundete, Daten, Fakten solid fundierte, immer das Werk als Ganzes im Auge haltend. Jetzt also hatte er sich entschlossen, den großen Punkt zu setzen. Er diktierte seinem Bruder Sekretär mit einem wissenden Grinsen unterstrichen falscher Bescheidenheit: »Ich aber überlasse es Späteren, die zukünftigen Ereignisse besser zu berichten, und beende hier meine Aufzeichnungen, und zwar, wie ich wenigstens selbst gern möchte, in guter und der Geschichte würdiger Weise.«
Er mummelte ein weniges, kicherte, legte dem Bruder Sekretär die dürre Hand auf die Schulter, diktierte voll falscher, gespielter Demut den letzten Satz: »Sollte es aber weniger gut geraten sein, so möge es mir verziehen werden als unternommen zum Ruhm der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit, welcher sei Ehre, Lob, Preis und Erhabenheit in alle Ewigkeit. Amen.«
Und jetzt also saß der Uralte unter Oliven und tausendjährigem Gemäuer und überreichte der Herzogin das Werk, bei seiner aufmerksamen Schülerin Verständnis erhoffend. Margarete lag in der Hängematte, schüttete gekühlten Orangensaft in ihren großen Mund; faul, schlank, weiß dehnte sich der Knabe Aldrigeto, träg sich mokierend über den zahnlosen Greis.
Als der Abend kam und es kühler wurde, ließ sie sich von dem Bruder Sekretär vorlesen. Die geübte, dunkle, gleichmäßige Stimme des Klerikers rezitierte Widmung und Vorrede des Abtes. Unter Anführung vieler Zitate sprach er davon, wie Leben und Wirklichkeit Geschichte wird, wie nichts bleibt vom Leben und Sein als Geschichte, und wie Geschichte der letzte Zweck alles Tuns ist und seine beste Basis. Was bleibt von großen Männern als ihr Gedächtnis, das gleich ist dem Duft, den mit Äpfeln beladene Schiffe auf unserm Ufer zurücklassen, wenn die Schiffe schon weit am jenseitigen Ufer sind? In diesem Sinne begann er aufzurollen das Bild der letzten hundertundzwanzig Jahre, ein Bild von der Kürze des menschlichen Lebens, der Vergänglichkeit der Natur, der Unbeständigkeit des Glücks, dem schnellen und flüchtigen Wechsel irdischen Ruhmes.
Margarete dachte: »Das alles weiß ich, und es trifft mich nicht mehr. Mein Programm liegt hinter mir .«
Aber mählich, wie die dunkle, gleichmäßige Stimme des Klerikers weiterkam in den vielfältigen Begebnissen, wie die bunten, einfältigen, schlauen, frechen, milden, großen, kleinen Historien einander ablösten, alle abgekühlt, gut gebettet, jede so da und so vorbei wie die vorhergehende und wie die folgende, mählich da riß es sie mit, sie glitt hinein in den gemalten Strom der Zeit. Meinhard, der große Graf von Tirol, der starke, schlaue, unbedenkliche: sie war ein Teil von ihm.
Diese Gebiete, die da so lange getrennt gewesen waren: sie hatte das Ihre getan, sie in der rechten Art zusammenzukneten. Diese Städte, die als kleine, lächerliche Siedlungen begonnen: sie hatte das Ihre getan, sie groß und blühend zu machen.
Und jetzt war sie aus dem breiten, fließenden Strom ausgeschieden, abgespaltet, brackiges, schlaffes, totes Wasser. Ihr Leben auf der kleinen Halbinsel kam ihr plötzlich unsäglich albern vor. Die Ölbäume, das alte Gemäuer, der Orangenhain, was war das anders als eine leere, dumme, protzige Dekoration? Wie war es möglich, sich zu verstecken in dem toten, brütenden, einsamen Sommer, während draußen heftige, wilde, zerstörerische Dinge geschahen, in ihrem Land, während die deutschen Fürsten sich balgten um ihren armen, lächelnden, blöden Sohn? Was hatte sie statt dessen ? Den Knaben Aldrigeto, einen hübschen, kleinen Jungen.
Den ganzen andern Tag las sie in dem »Buch gewisser Geschichten«. Der Uralte strahlte, trank gegen seine Gewohnheit Wein, die größere Hälfte mit zitternder Hand verschüttend, wackelte mit dem Kopfe.
Dann schickte sie einen Eilkurier nach Vicenza zu Can Grande, sie habe ihn dringend zu sprechen.
Nahm mit einem tiefen, gütigen Lächeln leichten Abschied von dem Knaben, strich über sein strahlend schwarzes Haar, streichelte sein gelblichweißes, heftiges Antlitz. Sagte, sie werde in drei Tagen zurück sein.
Der Knabe ließ sich ihre Zärtlichkeiten faul gefallen, preßte
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