Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
funkelt an allen Ecken, und so ganz kann ich mich dem ansteckenden Zauber nicht entziehen. Am allerwenigsten den Gerüchen nach Bratwürsten, Glühwein und den süßen Leckereien. Normalerweise versuche ich den Attacken durch Davoneilen zu entkommen, sonst würde ich schon vor dem Fest zehn Kilo zunehmen. Aber heute darf ich ausnahmsweise zuschlagen, schließlich ist mein Frühstück durch die zweimalige Dachbesteigung längst verdaut.
«Riecht lecker», bemerke ich schnüffelnd. «Magst du was essen?»
«Ja, warum nicht. Aber keine von den ekligen Bratwürsten, die aus Massentierhaltung stammen und in Fett schwimmen», entgegnet sie, als wolle ich sie genau dazu verführen.
«Nein, nein», beruhige ich sie. «Es werden ja auch genügend fleischlose Spezereien angeboten.»
Wir landen an der «Kartoffelhütte», die vegetarische Speisen offeriert: Ofenkartoffel mit Sauerrahm, Reiberdatschi mit Apfelmus oder Schupfnudel mit Sauerkraut. Madeleine hat Appetit auf eine Ofenkartoffel, mir gelüstet es nach Schupfnudeln. Diese Spezialität aus Kartoffeln, Mehl und Eiern gehört zu meinen Kindheitserinnerungen. Dazu trinken wir Weihnachtsbier. Köstlich!
Gestärkt und durch das Weihnachtsbier gehobener Laune, stürmen wir anschließend den Christbaumschmuck-Stand, an dem Madeleine die schönste Auswahl an Gurken gesichtet hat.
Die Standlverkäuferin lässt uns ihre zerbrechliche Ware eine Weile ungestört betrachten. «Was derfs denn sein, die Damen?», fragt sie schließlich.
«Wir sind auf der Suche nach Weihnachtsgurken», antworte ich.
«Wir nehmen aber die billigste», raunt Madeleine mir zu, bevor ich näher ins Detail gehen kann.
«Davon ham mir so viele, dass mir’s verkaufen müssen!», versichert die Marktfrau lachend. Sie zeigt nach oben, wo an einem Quergestänge unterschiedlich große Gurkenkugeln zwischen figürlichen Kugeln hängen. «Große, kloane oder die mittleren? Und dann hätt ma no schee verzierte oder die ganz nackertn.» Wieder deutet sie auf die angepriesene Ware. «Wie alt san denn die Kinder?»
«Wählt man die Gurken denn nach Alter aus?»
«No freilich», bestätigt sie. «Damit die Gaudi länger wie drei Minuten dauert, muss die Gurke immer kleiner werden, je älter die Kinder san. Verstehn S’? Sonst ist der ganze Spaß in null Komma nix vorbei.»
«Was kosten die denn so, und wo werden die produziert?», mischt Madeleine sich in die Verhandlung ein.
«Den Ramsch aus China verkaufn wir ned, wenn S’ des glauben, Fräulein.» Die Standlfrau stemmt die Fäuste in die mit einem grauen Lodenjanker dick verpackten Hüften. «Unser gesamtes Sortiment is mundgeblasen und handbemalt, und kommt aus Thüringen.» Voller Stolz breitet sie die Arme aus. «Alles made in Germany!»
«Trotzdem die billigsten», murmelt Madeleine erneut. «Katja soll froh sein, dass du überhaupt welche besorgst. Und wer weiß, ob die nicht bei der Suche zerbrechen. Ganz egal, ob die Jungs sie anfassen dürfen oder nicht.»
«Findest du die flitterverzierten nicht viel schöner?», wende ich ein. «Irgendwie weihnachtlicher.»
«Ja, wunderschön, aber deine Enkel sind oberclever und würden sie nach zwei Sekunden entdecken.» Sie mustert mich unnachgiebig. «Und wie du eben gehört hast, ist das nicht Sinn der Sache.»
Nachdenklich beobachte ich einen jungen Mann, der mit einem kleinen Mädchen an den Stand tritt. Sie trägt einen dunkelblauen Mantel und hat eine rosa gerandete Brille auf der niedlichen Stupsnase.
«Papa, guck mal, ein Weihnachtsmann!» Sie zeigt nach oben auf einen bärtigen Santa Claus in einem knallroten Flugzeug. «Kann er damit schneller fliegen als andere?»
«Sicher, das ist ein himmlischer Privatjet und kein doofes Charterflugzeug», antwortet der Vater mit verschmitztem Gesichtsausdruck.
«Und wo tankt er, oder kann er Schnee zu Sprit zaubern?», fragt sie weiter.
«Er kann zaubern!», antwortet der Mann ohne Zögern. «Ich wollte, er würde uns das Rezept mal verraten. Wir nehmen den Flieger da», sagt er dann schmunzelnd.
«Des Rezept dat mi a interessiern», lacht die Marktfrau, während sie nach unten greift und einen Karton mit dem fliegenden Weihnachtsmann hervorzaubert. Nachdem sie kassiert hat, wendet sie sich wieder uns zu. «Und die Damen, wissen S’ jetzt, welche Gurken es sein darf?»
«Wir brauchen zwei», sage ich. «Wenn möglich, zwei gleiche, damit es keinen Streit gibt. Und der Kleine ist drei, der Große fünf Jahre alt.»
«Zwoa gleiche», wiederholt
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