Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
Frühstück. Ein Jammer, dass Friedrich die Tropfen nicht mehr frei verkaufen kann. Ich werde ihm von der phänomenalen Wirkung berichten. Vielleicht motiviert ihn meine schnelle Genesung, die Genehmigung zu erneuern.
Nach einer heißen Dusche freue ich mich auf meinen mützenfreien Tag. Die Packengel-Uniform bleibt im Spind, stattdessen schlüpfe ich in Jeans und einen leichten rubinfarbenen Pulli, zu dem ich einen passend gemusterten Schal besitze. Gestärkt von reichlich Tee, zwei Spiegeleiern und Marmeladentoast bin ich eine Stunde später startbereit. Ich werde mich ins Weihnachtsgewühl stürzen, um die ultimativen Geschenke für meine Familie zu finden. Madeleine, die noch einige Dinge für die Reise besorgen möchte, wird mich begleiten. So können wir ein wenig Zeit miteinander verbringen, bevor sie in die Karibik fliegt. Unnötig, zu erwähnen, dass Katja eine Liste erstellt hat, was die Kinder, Bernd und sie sich wünschen. Inklusive der entsprechenden Läden, wo ich das Gewünschte bekomme. Meist finde ich Katjas Listenmanie ziemlich übertrieben, heute bin ich ihr regelrecht dankbar. Ich muss mir nicht groß den Kopf zerbrechen, welche Läden ich zuerst abklappere, sondern kann entspannt losziehen. Meiner Einschätzung nach liege ich in längstens zwei Stunden wieder gemütlich auf dem Sofa. Was bedeutet, dass ich meinen freien Tag nicht komplett im hektischen Einkaufsgetümmel verbringe und Kraft für den morgigen Tag sammeln kann.
Ich lege gerade noch etwas Lippenstift auf, als das Telefon schrillt. Hoffentlich sagt Madeleine nicht ab, weil in letzter Minute noch eine Fotoproduktion angesetzt wurde. Als Praktikantin müsste sie natürlich bleiben.
Es ist Katja.
«Hallo, Mama, warst du schon einkaufen?» Sie klingt etwas atemlos.
«In einer Minute sause ich los», verkünde ich. «Willst du noch irgendwelche Änderungen durchgeben?»
«Nein, nein», schnauft sie gehetzt. «Ich wollte dich nur noch um eine Winzigkeit bitten … Würdest du mir eine Weihnachtsgurke besorgen?»
«Eine Gurke?», wiederhole ich verwundert. Ja, habe ich denn sechs Tage geschlafen und heute ist schon Weihnachten? Die bleibt doch niemals frisch bis zum Vierundzwanzigsten. Meine Tochter dreht durch. Eindeutig.
«Am ehesten bekommst du sie auf dem Christkindlmarkt am Marienplatz», sprudelt sie hektisch weiter, ohne auf meine Verwunderung zu reagieren.
«Das wäre ja ganz was Neues, wenn es dort nun auch Gemüse gäbe», entgegne ich. «Bis gestern war mir jedenfalls noch kein Stand aufgefallen.»
«Wieso Gemüsestand? Ach, jetzt kapier ich …» Sie lacht laut auf. «Ich rede nicht von Salatgurken.»
«Essiggurken?», hake ich nach. «Die bekommt man aber auch nicht auf dem Christkindlmarkt. Es sei denn zur Currywurst. Aber ich verstehe die Eile nicht. Bis Heiligabend ist noch massenhaft Zeit für Lebensmittelein…»
«Ganz ruhig, Mama», unterbricht sie mich. «Es handelt sich um Christbaumschmuck.»
«Aus Glas, wie normale Kugeln?» Ich muss mich sehr beherrschen, sie nicht eines Christbaum-Komplexes zu bezichtigen.
«Ja, es ist Baumschmuck in Form einer kleinen Gurke», erklärt sie fröhlich. «Man hängt sie versteckt an einen Zweig, und die Kinder müssen sie suchen. Wer sie zuerst findet, bekommt ein kleines Extrageschenk. Aber der Baum darf bei der Suche nicht berührt werden. Und die Gurke sollte silbrig grün sein, damit sie in der Coloradotanne nicht großartig auffällt und die Jungs länger als zwei Sekunden benötigen, um sie zu entdecken.»
Himmlisches Weihnachtsglöckchen! Katjas Weihnachtswahn nimmt langsam beängstigende Formen an. Wenn das so weitergeht, entwickelt sie noch eine richtige Phobie, die ärztlich behandelt werden muss. Zu gerne würde ich sie fragen, in welcher dunklen Stunde sie sich diese «Gurkennummer» ausgedacht hat, aber dann wäre sie eingeschnappt. Also formuliere ich es etwas milder. «Ah, ich verstehe, du möchtest einen neuen Weihnachtsbrauch kreieren?»
«Nein, nein, der existiert bereits. Freunde aus Amerika haben uns davon berichtet. Er soll von deutschen Einwanderern etabliert worden sein, heißt ‹Legend of the Pickle› und erfreut sich dort großer Beliebtheit.»
Ach so, die Amis. Die Weltmeister der übertriebenen Bräuche. So was übernimmt Katja natürlich nur zu gerne.
«Wie lustig.» Ich bin erleichtert, dass sie doch noch recht normal im Oberstübchen ist, zumindest von Januar bis November. «Die
Extrageschenke
würde ich Madeleine gegenüber nicht
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