Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
eintreffe, lande ich zwischen aufgeregt schwatzenden Müttern und Großmüttern. Väter wie Großväter sind kaum anwesend. Suchend blicke ich mich nach Katja und den Kinder um, entdecke aber zu meiner Verwunderung Madeleine.
«Hallo, Mamilein», begrüßt sie mich.
«Grüß dich, Leni.» Nicht nur ihre Anwesenheit, auch ihr Aussehen irritiert mich. Ganz entgegen ihrer sonst so schlampig bunten Hosen-Outfits ist sie heute als feine Dame in schwarzem Kleid und Pumps unterwegs. Ein Outfit, das sie trotz der offenen, wilden Lockenpracht sehr erwachsen wirken lässt. «Schön, dass du auch bei dem großen Ereignis dabei sein wirst. Warum hast du gestern nichts gesagt.»
«War ’ne kurzfristige Entscheidung. Statt Weihnachten», erklärt sie und berichtet übergangslos. «Katja hilft den Kindern beim Schminken und Umziehen, im Ruheraum …» Sie deutet auf eine geschlossene Tür, die ein Bild mit schlafenden Kindern in einem riesigen Himmelbett ziert. «Wo sich auch die Garderobe befindet.»
Wir klopfen kurz an und öffnen vorsichtig die Tür. Drinnen herrscht gespannte Stille. Drei Kinder sitzen kerzengerade auf Stühlen vor einem langen Biertisch, der mittels Spiegeln zum Schminktisch umfunktioniert wurde. Katja verpasst Jan gerade einen Strichbart mit dem Augenbrauenstift. Eric beobachtet jede Bewegung seiner Mutter mit großen Augen. Er trägt bereits einen sackartigen Umhang über Jeans und Karohemd, ein Schäfchen aus weißem Plüsch unter dem einen Arm und einen langen dicken Ast, der wohl als Hirtenstab fungiert, in der anderen Hand.
Als er Madeleine und mich bemerkt, lässt er den Stab einfach fallen, rennt mit lautem Gebrüll auf uns zu und streckt mir das Kuscheltier entgegen. «Omaaa, ich bin ein Hirte, und ich hab gaaanz viele Schafe. Mama malt mir aba auch einen Bart …»
«Das ist ganz toll, mein Süßer!» Ich umarme ihn und drücke ihn fest an mich, bevor ich meinen Mantel ablege und meine Tochter begrüße. «Hallo, Katja, kann ich dir noch etwas helfen?»
Als sei ich gar nicht anwesend, blickt sie nur Madeleine an. «Was führt denn die Weihnachtshasserin hierher? Ich dachte, du findest Weihnachten so ätzend wie Christbäume, Geschenke und den ganzen schwachsinnigen Rest drumherum.»
«Wer sagt das?» Madeleine klingt ziemlich angriffslustig.
«Du!», blafft Katja zurück. «Alle Jahre wieder.»
«Du spinnst ja total», kontert sie patzig.
Oh, oh, Schwesternkrieg. Bevor die zwei auch noch ihre Krallen ausfahren, packe ich Madeleine am Arm und sende ihr einen mahnenden Blick. «Katja, wenn ich dir nicht zur Hand gehen kann …»
«Danke, Mama, ich habe ohnehin nur einen Brauenstift. Aber wenn du so lieb wärst und schauen würdest, ob Bernd schon da ist – der hat nämlich versprochen, sich um die Musik für das Krippenspiel zu kümmern.»
«Wird erledigt.» Ich lege meinen Mantel ab, knipse noch schnell einige Fotos von meinen Enkeln und ziehe dann Madeleine mit mir aus dem Zimmer. Draußen maßregle ich sie: «Provozier Katja doch nicht immer so. Du magst es doch auch nicht, wenn man deine Ideale lächerlich macht.»
«Ideale!» Verächtlich rollt sie mit den Augen. «Sie hat doch angefangen. Und Weihnachten
ist
lächerlich. Ein Kommerzfestival erster Güte und nur dazu da, den Leuten das Geld aus …»
«Lass es gut sein», unterbreche ich ihren missionarischen Anfall. «Entweder du benimmst dich, solange die Veranstaltung hier dauert, oder du verschwindest. Der Nachmittag gehört einzig und allein den Kindern. Ich lasse nicht zu, dass du ihn ruinierst. Du wirst dich also zusammenreißen …»
«Hallo, Frau Amberger! Hallo Madeleine!»
Eine Männerstimme stoppt meinen Erziehungsversuch, und Madeleine strahlt plötzlich, als habe sie den Stern von Bethlehem gesichtet. Als ich mich umdrehe, erblicke ich Robert.
«Was für ein lustiger Zufall», stellt er fest.
«Total witzig», stimmt Madeleine ihm zu, und ihre eben noch so frostige Stimme klingt plötzlich, als habe sie Kreide gefuttert, wie der böse Wolf in Rotkäppchen.
Und wenn ich mir das gestylte Aussehen und das versonnene Lächeln meiner Tochter betrachte, dann stecken hinter diesem «lustigen Zufall» eindeutig «ernste Absichten». Hoffentlich ist das nicht nur einseitig. In Sachen Liebe hatte Madeleine bisher nämlich wenig Glück, und als Mutter leide ich da immer mit.
«Wenn mein Vater hört, dass ich Sie hier getroffen habe, Frau Amberger», dringt Roberts Stimme in meine Überlegungen, «wird er bedauern,
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