Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
Und du, Papa …» Sie küsst ihn auf die Wange. «Warst schon immer ein begnadeter Verkäufer. Ich kann mich gut erinnern, dass die Apotheke zu deiner Zeit keine roten Zahlen fürchten musste. Ihr solltet ein Geschäft eröffnen.»
«Herzlichen Dank auch, liebe Tochter», entgegnet er geschmeichelt. «Ich kann natürlich nicht für Ursel sprechen, aber ich möchte mich auf meine alten Tage nicht noch mal hinter eine Verkaufstheke stellen. Das wäre mir zu riskant. Wie Ursel und ich erst unlängst festgestellt haben, ist die Zukunft von Ladengeschäften mehr denn je durch die rasant wachsenden Onlinekäufer gefährdet. Deine Generation shoppt doch mit Vorliebe am Computer, sich aus dem Hause zu bemühen, ist inzwischen uncool geworden. Und glaubt man den Prognosen der Zukunftsforscher, wird der Trend noch zunehmen.»
«Ausgenommen zu Weihnachten», ergänze ich Friedrichs Ausführungen. «Wenn die Stadt mit Schnee bedeckt in Postkartenromantik erstrahlt, strömen die Massen auf die Christkindlmärkte und verprassen ihr dreizehntes Jahresgehalt.»
«Ja, das stimmt!», sagt Solveig. «Aber der Onlinetrend lässt bereits wieder nach. Nicht nur ich träume von einem Ladengeschäft, auch der riesige Internetkonzern Google plant reale Shops zu eröffnen, in denen er unter anderem seine Smartphones anbieten will. Und gutsituierte Oldies werden bald in der Überzahl sein, dann schießen auch Geschäfte mit speziellen Angeboten für ältere Menschen wie Pilze aus dem Boden.»
Friedrich hat interessiert gelauscht und schubst mich nun kumpelhaft an. «Wie wär’s, Ursel, sollen wir zwei beide eine schicke Boutique für allerfeinste Gehhilfen, Spazierstöcke und sonstigen Oldie-Tand eröffnen?», fragt er lachend.
Also, ich kann mir ja einiges mit Friedrich vorstellen, aber ein gemeinsames Unternehmen, welcher Art auch immer, gehört nicht dazu. Dennoch schwebe ich nach seiner Andeutung für eine gemeinsame Zukunft auf Wölkchen – aber lieber nach Paris.
«Hast du Probleme mit den Beinen?»
Robert taucht plötzlich auf. Offensichtlich hat er Friedrichs Bemerkung über die Gehhilfen gehört und starrt seinem Vater nun besorgt auf die Jeanshosenbeine.
Ich mustere Robert meinerseits verwundert, denn er ist in Madeleines Begleitung. Meine Tochter wirkt ziemlich aufgebrezelt, hat sich geschminkt, sehr ungewöhnlich für sie, und mir scheint, als schmiege sie sich an ihn.
«Leni, was für eine Überraschung!» Ich stelle sie Friedrich vor.
«Donnerwetter, Sie haben sich zu einer wunderschönen jungen Dame gewandelt», bemerkt Friedrich galant.
Als Robert das bestätigt, errötet Madeleine und lächelt schüchtern. Was ist nur los mit ihr? Normalerweise ist sie doch nie um eine kecke Antwort verlegen.
«Sind die Koffer für die große Reise schon gepackt?», frage ich nach, weil sie gestern getönt hat, wie unsagbar viel sie noch vorzubereiten hat.
«Alles längst erledigt», antwortet sie lässig, schüttelt ihre feinsäuberlich gedrehten Locken und lächelt Robert zu. «Wir waren auf dem Friedhof. Robert hat seine Mama besucht und ich Papa. Jemand hat das neue Grablicht geklaut.»
Ich nicke. «Hab’s auch schon gesehen.»
«Schreckliche Zeiten», bemerkt Robert verdrossen. «Wir wollten eine Kleinigkeit essen», wechselt er dann abrupt das Thema und wendet sich an mich: «Vielleicht haben Sie auch Appetit auf etwas Deftiges oder Süßes. Würde mich freuen, Sie einladen zu dürfen.»
«Sehr freundlich», hebe ich an, komme aber nicht dazu, weiterzureden, denn schon meldet sich Friedrich zu Wort.
«Zu spät, mein Junge, dein Vater hat ältere Rechte.»
Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, als habe Friedrich mir soeben eine Liebeserklärung gemacht, und wenn ich nicht sowieso schon begeistert von seinem Charme wäre, hätte er mich in diesem Moment für sich gewonnen.
«Na, dann sehen wir uns später», verabschiedet sich Robert.
Leni zwinkert mir übermütig zu, als wären wir Freundinnen, die sich ihre neuen Freunde vorstellen. «Viel Vergnügen, Mamilein.»
Ein wenig fühle ich mich tatsächlich wieder wie ein umschwärmtes junges Mädchen – oder zumindest um einiges jünger.
Solveig bedankt sich bei ihrem Vater mit einer innigen Umarmung und drückt ihm einen Zwanziger in die Hand. «Dass du es anständig krachenlassen kannst mit Frau Amberger», scherzt sie.
«Merci, Tochterkind. Wir werden alles auf den Kopf hauen.» Er busselt sie auf die Stirn, gibt die Personal-Mütze zurück und hakt mich
Weitere Kostenlose Bücher