Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
«Doch kein Alzheimer, die grauen Zellen arbeiten noch», flüstere ich Hermann zu. «Tut mir leid, dass es nun so unweihnachtlich bei dir aussieht. Aber morgen Nachmittag habe ich frei, dann besorge ich im Drogeriemarkt eine von den stinknormalen Kerzen. Die brennen zwar nur einige Tage, dafür klaut sie aber auch niemand.»
Nachdem ich Hermann ausführlich vom gestrigen Baum-Desaster bei Katja berichtet habe, und er sich vermutlich köstlich amüsiert hat, verabschiede ich mich und schlendere zum Stephansplatz, um die Mützen abzuholen.
Auf dem rosa-glitzernden Weihnachtsmarkt herrscht bereits reges Getümmel. Auch an Solveigs Stand drängen sich die Besucher. Beim Näherkommen erblicke ich Friedrich. Erfreut lege ich einen Zahn zu. Doch als ich sehe, dass er mit einer hübschen Frau meines Alters spricht, durchfährt mich ein unangenehmer Stich. Beim nächsten Atemzug rüge ich mich eine närrische alte Frau, die alberne romantische Phantasien hegt, anstatt sich um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern: die Weihnachtsgeschenke für meine geliebten Enkelsöhne. Nur deshalb bin ich hier. Ich atme tief durch und trete mit souveränem Lächeln näher. «Hallo, Friedrich.»
Sofort dreht er sich zu mir. «Ursel, welch eine Freude, dich zu sehen», sagt er, strahlt mich an und bittet die Dame, sich noch etwas umzusehen. «Kommst du mich besuchen?»
Ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln. «Eigentlich wollte ich die Mützen für meine Enkel abholen, die Solveig mit den Namen besticken wollte. Aber ich freue mich, dich hier anzutreffen.»
«Hast du ein wenig Zeit?», fragt er. «Meine Tochter muss bald zurück sein, sie besorgt neue Ware, und so lange vertrete ich sie hier. Heute ist nämlich der Teufel los! Als wäre es die letzte Möglichkeit, noch eine warme Kopfbedeckung zu ergattern.»
Erleichtert sehe ich, dass Friedrich eine Mütze trägt mit der Aufschrift
Personal
, also nicht mit anderen Frauen flirtet. «Kann ich helfen, den Umsatz zu steigern?», frage ich und muss im Stillen über meine Eifersucht grinsen.
«Das wäre wirklich sehr lieb, Ursel, obwohl ich dir keinen Tariflohn und auch keinen Sonntagszuschlag anbieten kann», scherzt er zwinkernd. «Aber wenn du bereits bist, für ein Tässchen Glühwein und eine warme Mahlzeit zu schuften, bist du mit sofortiger Wirkung eingestellt.»
«Akzeptiert», entgegne ich und frage nach Churchill.
«Dem Armen geht es leider nicht besonders gut», berichtet er mit besorgter Miene. «Er wollte nicht einmal seine tägliche Spazierrunde drehen, hat nur kurz an seiner Stammkastanie vor der Apotheke das Bein gehoben und zog sofort wieder nach Hause. Er wird in seinem Körbchen liegen und zufrieden schnarchen. Hoffe ich zumindest.»
«Eine Runde ausschlafen hilft ihm sicher wieder auf die Beine.»
«Hmm.» Friedrich seufzt tief.
Unser Plausch wird von zwei jungen Frauen mit Kinderwagen unterbrochen, die nach einer lustigen Weihnachtsmütze für das Baby fragen. Friedrich empfiehlt eine Wichtelmütze in rot mit grünen Tannenbäumen, weißen Schneesternen und Bommel, die herzallerliebst auf dem runden Babykopf aussieht. Die Mamis sind ganz verzückt vor Begeisterung und wir mit ihnen.
In der folgenden halben Stunde unterstütze ich Friedrich beim Verkaufen. Der Umgang mit den händchenhaltenden schwulen Männern oder den sich umarmenden Frauenpärchen und anderen durchweg gutgelaunten Kunden macht großen Spaß. Vor allem, weil keiner an der Ware rummeckert und so gut wie alle etwas kaufen. Kein Vergleich mit dem öden Packengel-Job im Kaufhaus, wo die Stunden zäh sind wie altes Wachs im Kerzenhalter. Die Zeit fliegt nur so dahin, und Solveig kommt viel zu schnell zurück – zwei große Kartons mit Stricksachen-Nachschub auf einer Sackkarre transportierend.
«Hallo, Frau Amberger, Sie sind bestimmt wegen der Mützen hier …» Sie angelt eine vorbereitete Tüte aus einem Karton und überreicht sie mir. «Tut mir leid, dass Sie warten mussten.»
«Vielen Dank, Solveig, es war kein Problem, ich habe Friedrich inzwischen ein wenig unterstützt.»
«Na, wie lief der Laden während meiner Abwesenheit?», fragt sie dann, ganz ehrgeizige Geschäftsfrau, ihren Vater.
«Am besten, du überprüfst die Einnahmen», flüstert Friedrich ihr zu und überreicht stolz eine prall gefüllte Kellnergeldbörse. «Ursel ist eine prima Verkaufskraft.»
«Wow!», stellt Solveig nach dem Zählen der Geldscheine mit zufriedener Miene fest. «Ihr seid echt ein klasse Team.
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